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Remember

Remember

Titel: Remember
Autoren: Roland Jungbluth
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fluchen. Er legte den Schraubenzieher beiseite, hob seinen Kopf und kratzte sich an seinem kurzen, ungepflegten Vollbart. Dann griff er mit der rechten Hand zum Kittel. Doch anstatt sich daraus ein Taschentuch zu nehmen, wischte er sich damit nur einmal über das Gesicht und zog dabei laut vernehmlich den Rotz hoch. Annabel fand das irgendwie komisch. Die Schwester nicht. »Komm, Kleine. Das ist kein Umgang für dich.«
    Im Weggehen drehte sich Annabel noch einmal um. Sie sah, wie der Mann, bei dem es sich offensichtlich um den Hausmeister handelte, ihr zuzwinkerte und freundlich lächelte. Kein anzügliches Zwinkern. Kein schmieriges Lächeln. Es war nur eine nette Geste zwischen zwei Fremden. Annabel hob zum Abschied die Hand.
    2
    Im Erdgeschoss gab es weder Sicherheitstüren noch Wachpersonal. Und niemanden, der seinen Kopf gegen eine Wand schlug oder Kinderlieder sang. Und entgegen aller Vernunft versuchte Annabel, die Hoffnung aufrechtzuerhalten, dass dies doch nur ein einfaches Krankenhaus war. Und dass ein harmloser Unfall mit einer kleinen inneren Verletzung den Gedächtnisverlust und das Schwindelgefühl erklären würde.
    Die Schwester führte Annabel in einen Raum, der aussah wie ein Wartezimmer in einer beliebigen Arztpraxis. An den weißen Wänden hingen kleine, moderne Gemälde mit Landschaften und Sonnenuntergängen am Meer. Es gab Zeitschriften und einen Ständer mit Informationsmaterial. Annabel konnte nicht genau erkennen, worüber sie den Leser informierten.
    Schwester Shelley bat Annabel, einen Moment zu warten, und verließ den Raum wieder.
    Sie war nicht allein in dem Besucherzimmer. An einem der vier runden Tische saßen zwei junge Männer und eine ältere Frau, grau gekleidet wie Annabel. Schweigend starrten sie einander an. Annabel setzte sich auf einen der Stühle und sah sich um. Direkt neben dem Fenster hing ein Werbeplakat. Es zeigte einen fröhlichen Weißkittel, der mit einem Patienten Schach spielte. Sie las den fett gedruckten Text unterhalb des Bildes: Ponomyol. Denn Psychiatrie ist kein Kinderspiel.
    Dann ist es doch wahr. Ich bin in einer psychiatrischen Anstalt.
    Annabels Mund war trocken und sie fröstelte. Nur der Gedanke, dass ihre Eltern bald hier sein würden, hielt sie davon ab, in Panik zu geraten. Sie schloss die Augen und ballte die Fäuste im Schoß, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die drei merkwürdigen Gestalten, die noch mit ihr im Raum waren. Sie hatten etwas Geisterhaftes an sich. Hätte die Frau nicht die graue Anstaltskleidung getragen, hätte Annabell kaum sagen können, wer Patient und wer nur Besucher war. Sie erschrak, als alle drei, wie auf einen stillen Befehl hin, in ihre Richtung schauten und dabei auf eine unheimliche Weise lächelten. Irritiert wandte sie sich ab.
    Wo blieb nur die verdammte Schwester mit ihren Eltern? Sie wollte hier endlich raus!
    Du wirst Besuch von ein paar Leuten bekommen, die behaupten, sie seien deine Eltern.
    Wieder hallten Michaels Worte durch ihren Verstand und es hörte sich an, als würden Fingernägel auf einer Tafel kratzen. Annabel bekam eine Gänsehaut. Was sollte das? Wie konnte er so etwas Grausames sagen? Und warum waren er, Eric und George überhaupt hier?
    Annabel musste sich eingestehen, dass es nicht viel gab, was sie über die Jungs wusste. Sie alle gingen in Richmond auf die Oldcue School, aber in verschiedene Klassen. Außerdem gehörte jeder einer anderen Clique an. Michael war Kapitän des Rugby-Teams, sah gut aus und hatte angeblich stinkreiche Eltern. Drei Gründe, warum sie ihn immer für einen Angeber gehalten hatte.
    Eric dagegen schien ein netter, harmloser Typ zu sein, der mit allen gut auskam. Zumindest mit denen, die mit seiner Hautfarbe kein Problem hatten. Die meisten wussten, dass er schwul war, und er machte auch kein Geheimnis daraus. Eine Einstellung, die ihm schon eine Menge Ärger eingebracht hatte. Für Annabel war es kein Schock gewesen, aber dennoch hatte sie etwas Zeit gebraucht, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Inzwischen war es für sie nichts Besonderes mehr.
    Den dritten Jungen, George, hatte Annabel zwar schon ein paarmal gesehen, doch sie konnte ihn nicht wirklich einordnen. Er war für sie eine dieser Gestalten, die einem jeden Tag über den Weg laufen konnten und trotzdem kaum in Erinnerung blieben. Auffällig an ihm war nur seine raue, heisere Stimme, die klang, als würde er seine Nächte rauchend und trinkend in dunklen Bars
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