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Remember

Remember

Titel: Remember
Autoren: Roland Jungbluth
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verbringen.
    Die Tür schwang auf und Annabel sprang erwartungsvoll vom Stuhl. Schwester Shelley betrat den Raum, gefolgt von einer blonden Frau und einem sehr schlanken großen Mann. Das Alter der beiden war schwer zu schätzen, aber sie wirkten nicht mehr jung. Tiefe Schatten lagen unter den Augen der Frau, der Mann sah ebenfalls erschöpft aus.
    Annabel blieb enttäuscht stehen.
    »Annabel, deine Eltern sind hier«, sagte die Schwester. »Willst du sie nicht begrüßen?«
    Annabel blickte sie irritiert an. »Wo denn? Warten sie draußen?« Sie wollte gerade zur Tür gehen, als die fremde Frau auf sie zutrat und sie zärtlich an der Wange berührte.
    »Anna, Liebling, was ist denn los mit dir? Wir sind’s.«
    Annabel zuckte zurück. Wie kam eine fremde Frau dazu, sie zu streicheln? »Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie?«
    Die Frau ließ entsetzt die Hand sinken.
    »Annabel, hör auf mit dem Unsinn! Deine Mutter macht sich wirklich Sorgen.« Der schlanke Mann trat jetzt neben die Frau. Seine dunklen Augenbrauen waren zusammengezogen und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. »Bitte, komm endlich wieder zu dir!«
    Fassungslos wandte sich Annabel an die Schwester. »Ich habe diese Leute noch nie gesehen. Das schwöre ich. Verstehen Sie doch, das sind nicht meine Eltern! Das sind niemals meine Eltern!«
    3
    Die Schwester hob beschwichtigend die Arme, während Annabel wie versteinert dastand und das Gefühl hatte, ihr ganzer Körper würde in Flammen stehen. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und sie schnappte aufgeregt nach Luft.
    Du musst so tun, als wären diese Leute deine Eltern. Tue so, als würdest du sie erkennen.
    Das waren Michaels Worte gewesen. Aber sie konnte das nicht. Das war doch Wahnsinn.
    »Was soll das? Wo sind meine Eltern?« Annabel löste sich aus ihrer Erstarrung und wehrte erneut einen Versuch der Frau ab, sie zu berühren. »Hände weg!« Ihre Hilflosigkeit schlug in Wut um. Sie wich nach hinten und stieß dabei einen Stuhl um.
    Annabels Geschrei weckte die drei merkwürdigen Gestalten vom Nachbartisch aus ihrer Trance. Sie hatten wieder ihr irres Lächeln aufgesetzt und verfolgten jetzt mit scheinbar großem Interesse das Geschehen.
    Die blonde Frau flüchtete sich mit Tränen in den Augen in die Arme des Mannes.
    »Es wird alles wieder gut, Liebes«, sagte er. »Das verspreche ich dir.« Aber sein hilfloser Blick strafte seine Worte Lügen.
    »Es tut mir leid«, sagte die Schwester und drängte die beiden mit einer energischen Geste nach draußen. »Vielleicht war es doch noch zu früh für einen Besuch.«
    Die Frau schluchzte in ein Taschentuch. In der Tür drehten sich beide noch einmal um. »Wir kommen dich besuchen, wenn es dir wieder besser geht, Liebling«, sagte der Mann. »In ein paar Tagen.«
    Einen Moment später waren sie verschwunden.
    Als auch Annabel den Raum verlassen wollte, versperrte ihr die Schwester den Weg. »Bleib noch einen Moment hier, ja, Kindchen?«
    »Aber ich will wieder nach oben«, sagte Annabel mit erstickter Stimme.
    »Natürlich, wir bringen dich gleich zurück. Dauert nur einen Moment.« Die Schwester eilte zur Tür und gab jemandem ein Zeichen. Dann wartete sie dort und ließ Annabel nicht aus den Augen.
    Annabel ging zum Fenster, setzte sich auf die breite Fensterbank und umklammerte ihre Beine. Sie war zu keinem klaren Gedanken fähig. Es fühlte sich an, als hätte ihr Verstand auf Autopilot geschaltet und als Zielort Wahnsinn eingegeben. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals solch eine Angst gehabt zu haben.
    Als die Schwester wieder in den Raum zurückkam, brachte sie zwei kräftige Pfleger mit. Annabel ließ sich von der Fensterbank gleiten und brachte instinktiv so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Männer.
    »Komm, Annabel, mach’s uns nicht unnötig schwer«, sagte die Schwester sanft und wirkte völlig harmlos. »Du nimmst jetzt eine kleine Tablette und dann wird alles wieder gut. Ich merke dir doch an, wie aufgeregt du bist.«
    »Mir geht’s gut. Danke.« Annabels Stimme zitterte. Sie ließ die beiden Pfleger nicht aus den Augen.
    »Damit wird’s dir gleich noch viel besser gehen. Versprochen.«
    Einer der Pfleger, ein stämmiger Kerl mit langen Koteletten, machte ein paar Schritte auf sie zu.
    »Bleibt weg von mir. Ich habe doch gesagt, mir geht’s gut.«
    Annabel war nicht besonders stark, aber sie war drahtig und schnell. Sie wusste, dass die meisten Leute sie für harmlos und niedlich hielten.
    Schwester Shelley
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