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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Alexandra Guggenheim
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Verlegenheit gebracht hatte, würde mir nicht mehr nachstellen. Nach Amsterdam zurückzukehren hätte aber auch geheißen, die Vergangenheit heraufzubeschwören. Unablässig wäre ich an mein Jahr, an die wundervolle Zeit im Haus an der Rozengracht erinnert worden. Den Boden dieser Stadt habe ich nie wieder betreten.
    In Willem Claeszoon Heda gesprochen, Stilllebenmaler in Haarlem, fand ich einen ebenso gewissenhaften wie gutmütigen Lehrmeister. Zwei Jahre lang war ich sein Schüler. Ich habe ihm viele handwerkliche Kenntnisse und Einsichten zu verdanken. Und doch muss ich bekennen, dass mein eigentlicher Meister Rembrandt van Rijn geblieben war.
    Bei jedem Pinselstrich, den ich auf die Leinwand setzte, stellte ich mir vor, was der Meister dazu sagen würde. Wie ich es von ihm gelernt hatte, fertigte ich meine Kompositionen vom Hintergrund zum Vordergrund, vom Untergeordneten zum Hauptsächlichen. Aus Ton- und Farbschattierungen schuf ich die Form einer Vase, füllte sie mit Pfingstrosen oder Fackel-Lilien, stellte sie auf einen Tisch, den eine Damastdecke schmückte. Die Stängel der Pflanzen schraffierte ich mit dem Pinselstiel.
    Wollte ich die kräftige Struktur eines frischen Weinblattes darstellen, drückte ich ein echtes Blatt in die noch feuchte Farbe. Ganz so, wie der Meister Leinenbeutel auf die Leinwand gepresst hat, um die Struktur eines Stoffes abzubilden. Ähnlich wie seine Werke sahen auch meine Bilder aus der Nähe betrachtet aus wie zufällige Farbkleckse. Erst mit einem gewissen Abstand war das eigentliche Gefüge zu erkennen.
    Weil ich Wahrhaftigkeit in meine Bilder legen wollte, habe ich immer nur Blumen gemalt, die zur selben Zeit blühten: niemals einen Fingerhut neben einer Herbstanemone oder eine Akelei neben einer Kornblume. Ich habe darum gerungen, jede einzelne Pflanze, gleich welcher Art, mit derselben Ernsthaftigkeit anzuschauen, wie der Meister die Menschen gesehen hat. So wie er die Seele des Menschen auf die Leinwand gebannt hat, so wollte ich das Wesen der Blumen erfassen.
    Fast vier Jahrzehnte habe ich in Haarlem gelebt. Meine Bilder wurden geschätzt, und ich habe es sogar zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Man sagte über mich, ich sei der „Porträtist der Blumen.“ Ein größeres und schöneres Lob hätte ich mir nicht wünschen können.
    Mit vierzig Jahren habe ich geheiratet und drei Söhne gezeugt, Willem, Jan und Cornelis. Lena war mir eine gute Ehefrau, ich habe sie geachtet. Nun habe ich seit über zehn Jahren kein Bild mehr gemalt. Der Geschmack der Leute hat sich geändert. Niemand hängt sich heutzutage mehr ein Blumenstillleben in seiner Stube auf. Seestücke oder galante Szenen in französischer Manier sind in Mode. Vielleicht wird mein Name in einigen Jahren ganz vergessen sein.
    Nach dem Tod meiner Frau bin ich zu meinem ältesten Sohn gezogen. Er wohnt mit seiner Familie in Muiderkamp, in derselben Straße, in der auch mein Elternhaus stand. Es ist im Jahr 1701 bei einem Feuer abgebrannt. Mein Sohn und seine Frau haben vier Kinder. Sie aufwachsen zu sehen ist meine größte Freude.
    Wie schon als kleiner Junge gehe ich jeden Tag zum Deich und schaue auf die Zuiderzee. Manchmal sehe ich am Horizont die geblähten Segel der großen Handelsschiffe vorüberziehen, die dorthin fahren, wo auch sie einst hingefahren ist. Die Einzige, die ich jemals geliebt habe und die ich bis heute nicht vergessen kann. Cornelia. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Noch immer trage ich das Medaillon mit den Buchstaben H und R um meinen Hals, das sie mir beim Abschied geschenkt hatte. Niemals habe ich es abgelegt.
    Jetzt, da ich meine Geschichte aufgeschrieben habe, ist mir leichter zumute. „Selig die, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“, so steht es in der Bibel geschrieben. Ich übergebe mein Leben der Hand des Allmächtigen. Möge der Herr meiner Seele gnädig sein.

    Samuel Bol. Muiderkamp,
den 9. Juli, Anno 1723

    ENDE

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Anmerkungen
    1 Titus am Schreibpult, 1655, Rotterdam, Museum Boymansvan Breuningen.
    2 Hendrickje in der offenen Tür, um 1656/57, Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie.
    3 Christus predigend, Radierung 1655, Amsterdam, Rijksprentenkabinet.
    4 Die Darstellung Christi im Tempel, 1631, Den Haag, Mauritshuis.
    5 Die Anatomievorlesung des Doktor Nicoalaes, Tulp, 1632, den Haag, Mauritshuis. - Die Anatomie des Doktor Jan Deyman, Amsterdam, Historisch Museum.
    6 Dieses Gruppenbildnis erhielt am Ende
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