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Reise um den Mond

Reise um den Mond

Titel: Reise um den Mond
Autoren: Jules Verne
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sein mochte, man konnte über die Lage, worin sich das Geschoß befand, sich noch nicht bestimmt aussprechen. Seine scheinbare Unbeweglichkeit, der Mangel an Verbindung mit der Außenwelt, gestatteten nicht, die Frage zu beantworten. Vielleicht war das Projectil auf seiner Fahrt durch den Raum begriffen? Vielleicht war es auch nach kurzem Aufflug wieder auf die Erde gefallen, oder auch in den mexikanischen Golf, was bei der geringen Breite von Florida leicht möglich war.
    Der Fall war ernst, das Problem interessant. Es mußte baldmöglichst gelöst werden. Barbicane, dem bei seiner Aufregung die moralische Energie seine physische Schwäche überwinden half, stand auf und horchte. Außen tiefe Stille. Aber das dichte Futter mußte alles Geräusch von Seiten der Erde unvernehmlich machen. Doch ein Umstand fiel Barbicane auf. Die Temperatur innerhalb des Projectils war außerordentlich hoch. Der Präsident zog ein Thermometer aus seiner Scheide und befragte das Instrument; es zeigte fünfundvierzig hunderttheilige Grad.
    »Ja!« rief er aus, »ja! wir sind in Bewegung! Diese erstickende Hitze, welche durch die Wände des Projectils eindringt, kommt von seiner Reibung in den Schichten der Atmosphäre. Sie wird bald abnehmen, weil wir schon in den luftleeren Raum übergehen, und nachdem wir fast erstickt wären, werden wir starke Kälte zu empfinden haben.«
    – Wie? fragte Michel Ardan, nach Deiner Ansicht, Barbicane, befänden wir uns schon über der Grenze der Erdatmosphäre?
    – Ohne Zweifel, Michel. Höre nur. Es ist jetzt zehn Uhr fünfundfünfzig Minuten. Seit etwa acht Minuten sind wir unterwegs. Wäre nun unsere anfängliche Geschwindigkeit nicht durch die Reibung vermindert worden, so wären wir schon binnen sechs Secunden über die sechzehn Lieues hinausgekommen, soweit sich die Atmosphäre um den Erdball herum erstreckt.
    – Ganz richtig, erwiderte Nicholl, aber wie hoch schlagen Sie diese Verminderung der Geschwindigkeit durch die Reibung an?
    – Zu einem Drittheil, Nicholl, versetzte Barbicane. Das ist beträchtlich, aber meiner Rechnung nach beträgt sie soviel. Hätten wir nun Anfangs eine Geschwindigkeit von zwölftausend Meter gehabt, so wird dieselbe beim Verlassen der Atmosphäre auf siebentausenddreihundertzweiunddreißig Meter herabgemindert sein. Wie dem auch sei, wir haben bereits diesen Raum durchschritten und …
    – Und dann hat Freund Nicholl seine beiden Wetten verloren; viertausend Dollars, weil die Columbiade nicht zersprungen ist; fünftausend, weil das Projectil über sechs Meilen emporgekommen ist. Also, Nicholl, leiste Deine Verbindlichkeit.
    – Stellen wir zuerst die Thatsache fest, dann soll die Bezahlung nicht fehlen. Leicht möglich, daß Barbicane’s Folgerungen richtig sind, und daß ich meine neuntausend Dollars verloren habe. Aber es kommt mir noch eine andere Vermuthung, ein Fall, wodurch die Wette zu nichte würde.
    – Welche? fragte lebhaft Barbicane.
    – Es wäre möglich, daß wir, weil aus irgend einem Grunde das Feuer nicht zum Pulver gelangte, gar nicht abgefahren wären.
    – Wahrhaftig, Kapitän, rief Michel Ardan, das ist eine Hypothese, die begreiflich ist! Sie ist nicht ernstlich gemeint! Sind wir nicht alle von dem Stoß fast zum Tode erschüttert worden? Hab’ ich Dich nicht wieder in’s Leben zurückgerufen? Blutet nicht noch die Schulter des Präsidenten vom Gegenstoß?
    – Einverstanden, Michel, wiederholte Nicholl, aber nur eine Frage.
    – Die wäre?
    – Hast Du etwas von dem Knall gehört, der doch gewiß ganz entsetzlich stark war?
    – Nein, erwiderte Ardan sehr betroffen, ich habe wirklich nichts davon gehört.
    – Und Sie, Barbicane?
    – Ich auch nicht.
    – Nun denn? sagte Nicholl.
    – In der That! murmelte der Präsident, warum haben wir keinen Knall gehört?
    Die drei Freunde sahen sich einander etwas verlegen an. Die Erscheinung war ihnen unerklärlich. Doch war das Projectil abgeschossen worden, und folglich mußte ein Knall stattgefunden haben.
    »Ueberzeugen wir uns zuerst, wo wir uns befinden«, sagte Barbicane, »und lassen wir die Luckendeckel hinab.«
    Diese höchst einfache Verrichtung wurde sogleich bei der Lucke rechts vorgenommen. An den außen angebrachten Platten befanden sich Bolzen, welche durch die Wand dringend, innen vermittelst Mutterschrauben festgehalten wurden. Diese entfernte man mit einem englischen Schlüssel, die Bolzen wurden hinausgestoßen, und die Löcher, wodurch sie gegangen, durch Schließklappen, die
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