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Regina schafft es doch

Regina schafft es doch

Titel: Regina schafft es doch
Autoren: Berte Bratt
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Licht und Flitter, erzählte so schlicht und ruhig und dennoch so lebendig, daß Regina völlig miterlebte und die Weltgeschichte ihr lebendig wurde. Sie bekam Lust, über diese Menschen zu lesen, deren Namen bisher nur Buchstaben im Schulgeschichtsbuch gewesen waren. Nun ging sie in die Bibliothek und lieh sich Bücher, las und las, erweiterte ihr Interessengebiet über Schönbrunn, über Österreichs Grenzen hinaus, über die ganze Europalandkarte. Sie war von Lesehunger getrieben und merkte nach und nach, wie einseitig ihre Interessen bisher gewesen waren. Sie war mit Scheuklappen durch das Leben gegangen.
    Und als sie nun über das Leben und die Leiden und Freuden anderer Menschen las, da sah sie ihr eigenes Schicksal in einem anderen Licht. Jeder Mensch hatte sein Teil an Kummer durchzumachen, warum sollte ausgerechnet sie verschont bleiben?
    Ja, die kleine Regina war im Begriff, ein erwachsener Mensch zu werden.
    Katrin zwitscherte und schwabbelte und war glücklich. Samstag vormittag war sie ganz zappelig. Sie konnte sich durchaus nicht auf die Arbeit konzentrieren, und als die Mittagszeit herannahte, gab sie es ganz auf, warf die Schürze in die Ecke und wanderte zur Stadt, um sich ein neues Kleid zu kaufen.
    „Medizin für eine nervöse Frau“, lachte Tausing, als sie aus der Tür war. „Ein Kleid ist für eine Frau zweifellos immer noch das beste Mittel gegen schlechte Nerven. Was hat sie eigentlich vor?“
    „Ich habe den wohlbegründeten Verdacht, daß sie mit Ihrem Neffen ausgehen will“, lachte Regina.
    Tausing lächelte.
    „Jaja, das ist der Welten Lauf. Mein Neffe ist übrigens ein prächtiger junger Mann. Er hat eine gutgehende Praxis und ist seiner Mutter ein guter Sohn – meiner Schwester also. Sie ist gelähmt, die Ärmste, sitzt das ganze Jahr über im Rollstuhl, und Leo tut wirklich alles, was er kann, um ihr das Dasein so freundlich wie möglich zu gestalten.“
    Regina lächelte. Ihr gefiel es, wie Tausing von seinem Neffen sprach. Und sie freute sich, daß es ein tüchtiger und wertvoller junger Mann war, an den Katrin ihr Herz verloren hatte.
    Denn für Katrin war das Beste gerade gut genug – nur das Allerbeste.
    Tatsächlich: Zu Hause auf ihrer Bude stand Katrin vor dem Spiegel und zupfte mit einem verzückten Lächeln an einem neuen Kleid rum. Regina mußte lachen.
    „Du lieber Himmel, bist du das wirklich, Katrin? Ich habe nie gewußt, daß du so eitel bist!“
    „Ja aber, Regina, du weißt doch, was heute für ein Tag ist! Ich bin zum Tee eingeladen, zu der alten Frau Bielec, und ich soll mir die Ecke ansehen, wo das Lämpchen stehen wird. Sie will mit mir die Zeichnungen besprechen. Ich habe ein Lampenfieber, als ob ich heute abend in der Oper die Titelrolle in Aida singen müßte – ohne Probe!“
    „Wann mußt du gehen?“
    „Um halb vier. Doktor Bielec kommt und holt mich ab.“
    „Aha!“ sagte Regina und lächelte.
    „Was machst du heute nachmittag?“
    „Arbeite ein bißchen an einem Abguß.“
    „Mit Reisinger?“
    „Nein, allein. Reisinger ist gestern ins Wochenende gefahren, ich habe ihn gesprochen, kurz ehe er abfuhr…“
    Regina verstummte jäh. Was hatte sie da eben gesagt? Die Worte lagen noch in der Luft…
    „Ich habe mit ihm gesprochen, kurz ehe er abfuhr.“ Es waren dieselben Worte, die Annette von Gert gesagt hatte: „Er ist gestern nach Dänemark gefahren. Ich habe noch mit ihm gesprochen, kurz ehe er abfuhr.“
    „Reisinger ist ins Wochenende gefahren. Ich habe ihn gesprochen, kurz ehe er abfuhr“ – so wenig konnten diese Worte bedeuten, ganz unwichtig konnten sie sein…
    Regina beschäftigte sich in ihren Gedanken wieder mit der Vergangenheit. Sie dachte zurück an jenen Abschiedsabend, an andere Abende, wunderbare Stunden mit Gert und wunderbare Fahrten mit ihm in die Sonne hinaus.
    In ihr bohrte etwas, sie mußte die ganze Sache noch einmal durchdenken. Jetzt hatte sie Abstand bekommen, und jetzt hatte sie sich selbst gewandelt. Hatte sie in ihrem unerbittlichen Anspruch auf Wahrheit Gert Unrecht zugefügt? War im tiefsten Grunde alles ganz anders…?
    Dr. Bielec kam und holte Katrin ab. Regina mußte ihr recht geben. Er war ein sympathischer junger Mann. Nicht nur sympathisch, er hatte auch viel von jener leichten, selbstverständlichen eleganten Höflichkeit, die der echte Wiener ebenso natürlich trägt wie einen bequemen Mantel. Munter und gleichzeitig ehrerbietig, unbefangen, ohne dreist zu sein, höflich, ohne die geringste
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