Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Regency Reality-Show

Regency Reality-Show

Titel: Regency Reality-Show
Autoren: Martina Hertig-Binz
Vom Netzwerk:
nicht beirren und setzte sich zwischen ihre beiden Enkelinnen.
    Es ging unheimlich lustig zu und her und bald waren die versteckten Kameras vergessen und wir genossen alle den gelungenen Spielabend. Für meinen Geschmack war es noch viel zu früh, als die ältere Generation sich auf ihre Zimmer zurückzog. Natürlich war es undenkbar, dass ich ohne meine Eltern zurückblieb. Also suchten wir unsere Zimmer auf und ich bestand darauf, dass mir Anna sofort ins Nachthemd half. Schliesslich hatte Mama ihren Mann und seinen Kammerdiener, die ihr beim Aufschnüren des Korsetts helfen konnten. Zudem hatte ich noch etwas vor –
     
    ***
     
    Als ich endlich allein im Zimmer war, begutachtete ich beim Schein von drei Kerzen meinen Kleiderschrank. Es musste doch etwas geben, das mit kleinen Änderungen zum Reiten in einem Herrensattel geeignet war. In einer dunkelbraunen Kommode fand ich schliesslich, was ich gesucht hatte. Bestimmt war dieses schwarze Wollkleid keines von meinen. Möglicherweise hatte es seit Jahrzehnten in dieser antiken Kommode gelegen. Für mich war es im Moment jedoch das willkommenste Kleidungsstück von allen. Ich setzte mich mit Schere, Nadel und Faden hin und machte mich an die Arbeit. Meine Nähkünste waren nicht sehr ausgeprägt, aber ich wollte dieses Kleid schliesslich nicht auf einen Ball anziehen sondern für einen nächtlichen Ausritt, bei dem ich von niemandem gesehen würde.
    Gespannt vertauschte ich mein Nachthemd gegen diesen schweren schwarzen Stoff ein. Da es vorne geknöpft wurde, konnte ich es ohne Hilfe anziehen, worauf es mir schliesslich ankam. Den Rock hatte ich hinten und vorne aufgeschlitzt und die Enden zu Hosenbeinen zusammengenäht. Damit würde ich problemlos rittlings auf mein Pferd aufsitzen können, sollte mich jedoch jemand überraschen, während ich mich zum Stall schlich, würde mich der weite Rock nicht sofort verraten. Auf den ersten Blick waren meine Änderungen nicht auszumachen. Ich war richtiggehend stolz auf mein Werk.
    Inzwischen war es weit nach Mitternacht und ich rechnete mir aus, dass jetzt die beste Zeit wäre, um einen unentdeckten Ausritt zu wagen. Mit einer Kerze in der Hand schlich ich mich aus dem Zimmer und durch die dunklen Gänge. In der gespenstischen Finsternis schien das Haus noch viel grösser. Aus einigen Zimmern hörte man Schnarchgeräusche und auch aus sonst war es nicht vollkommen still. Die Holzstufen der schmalen Dienstbotentreppe, die ich hinunterstieg ächzten unter ihrem Alter, der Wind pfiff durch schlecht abgedichtete Fenster und irgendwo musste noch ein Feuer in einem Kamin prasseln. Als ich jedes einzelne Geräusch zu meiner Beruhigung zugeordnet hatte, konnte ich mich wieder auf meine Mission konzentrieren. Kein Wunder, glaubten viele, dass es in grossen alten Häusern spuke.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit – ich war dreimal falsch abgebogen und hatte offensichtlich nicht den direktesten Weg gefunden, stand ich schliesslich vor der grossen Stalltüre, die natürlich zu war. Bestimmt war sie nicht abgeschlossen, aber würde sie laut quietschen, wenn ich sie aufstiess und damit die Schlafenden im Obergeschoss auf mich aufmerksam machen? Es nützte nichts, bloss vor dem grossen schweren Tor zu stehen. Ich atmete nochmals tief durch und drückte die Stalltüre ganz langsam auf. Zu meiner grossen Verwunderung und Erleichterung liess sie sich völlig geräuschlos öffnen.
    Die Pferde jedoch hörten mich sofort, oder sie fühlten meine Anwesenheit. Einige schüttelten aufgeregt den Kopf, eines fing sogar unruhig zu tänzeln an. Rasch bahnte ich meinen Weg zu Flora und begrüsste sie leise und sprach sanft und beruhigend auf sie ein. Dies schien die Stimmung unter den Pferden abzukühlen und bald herrschte wieder Ruhe. Vorsichtshalber wartete ich noch ein paar Minuten und als ich mir sicher war, dass ich mit den Tieren allein im Stall war, sattelte ich Flora, band ihr alte Lappen um die Hufe und führte sie langsam aus dem Stall und über den Hof. In der Wiese angekommen, band ich die Lappen wieder los und legte sie an den Wegrand, wo ich sie mit einem Stein beschwerte. Dann endlich schwang ich mich mit einem spitzbübischen Lächeln in den Sattel und ritt im Schritttempo über die Felder Richtung Osten.
    Kurz sah ich mich nach dem Anwesen um, und als ich feststellte, dass wir genügend Distanz zwischen uns gebracht hatten, lockerte ich die Zügel und Flora viel in einen gestreckten Galopp. Der Wind spielte mit meinen offenen Haaren,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher