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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Juristen finden ließen, die da anderer Ansicht wären. Zum Teufel, Sie wissen ja nicht einmal sicher, ob die drei überhaupt die ESPERANZA gefunden haben. Wenn ein solches Schiff überhaupt existiert und das Lissabonner Dokument keine raffinierte Fälschung ist.«
    »Das ist es nicht. Und die Zusammenhänge sind viel komplizierter, als Sie annehmen, Mr. Raven. Der Bericht des Kapitäns enthielt auch eine, wenngleich grobe Auflistung der Kunstwerke, die nach Madrid geschafft werden sollten. Lesen Sie selbst.«
    Sie entnahm dem Diplomatenköfferchen, das immer noch auf ihren Knien ruhte, einen zweiten, erheblich dünneren Schnellhefter, den sie Raven entgegenhielt. Er nahm ihn an und blätterte im Stehen darin.
    Das erste Blatt war für ihn nur von abstraktem Interesse. Es handelte sich um eine Fotokopie des Dokuments, von dem Melissa McMurray gesprochen hatte. Die Handschrift war fast unleserlich, aber Raven konnte sowieso kein Spanisch.
    Das zweite Blatt war die Übersetzung des ersten. Raven überflog rasch den Text. Die ersten Absätze, offenbar vom Kapitän des Begleitschiffs höchstpersönlich abgefasst, schilderten die mysteriösen Umstände des Untergangs der ESPERANZA.
    Raven zog nur kurz die Augenbrauen hoch. Ob eine Untersuchung des seit über vierhundertundfünfzig Jahren auf dem Meeresgrund ruhenden Schiffes wohl heute noch klären konnte, warum die ESPERANZA damals so plötzlich mit Mann und Maus in den Fluten versunken war? Vielleicht würde er Melissa McMurray später einmal danach fragen ...
    Die nautischen Angaben interessierten ihn nicht weiter, darum ließ er sie aus. Wie er seine Besucherin inzwischen einschätzte, hatte sie ohnehin irgendwo in ihrem unergründlichen Diplomatenköfferchen auch eine exakte Seekarte.
    Nach der Positionsangabe und ein paar vagen Spekulationen über die Ursache des Unglücks - wegen einer Beschädigung des Originaldokuments fehlten hier längere Textpassagen - verkündete der Kapitän, er werde »nun in Abschrift den vollständigen Text eines bedeutenden Dokumentes geben, welches verfertigt worden vom hochwohlgeborenen, hochwohllöblichen Mönch Ramon Diaz Melchiór de Casteloso, dessen leibliche Hülle nun in Ewigkeit mit der Besatzung der ESPERANZA auf dem Grunde des atlantischen Meeres ruhe, dessen Seele aber gewisslich der Wonnen des Paradieses teilhaftig geworden, betreffend die Schätze und Merkwürdigkeiten, die Ihrer allererhabensten, durchlauchtigsten Majestät, dem König aller Hispanier in Madrid, zu Kenntnis und Besitz hätten gebracht werden sollen.« Raven kam nicht umhin, die Blumigkeit der Sprache zu bewundern.
    Der im Folgenden zitierte hochwohlgeborene, hochwohllöbliche Mönch Ramon Diaz Melchiór de Casteloso übertraf den Kapitän darin allerdings noch um ein Beträchtliches. Nachdem er zunächst Fernando Cortez, den Absender all dieser wunderbaren Gaben, in höchsten Tönen gerühmt hatte (eine hervorragende PR-Arbeit), ging er dazu über, euphorisch die »Schätze und Merkwürdigkeiten« zu schildern, die die ESPERANZA an Bord genommen habe. Für eine Identifizierung etwaiger Fundstücke war dieser Schwulst nicht vom geringsten Wert. Von »seltenen Tieren und Vögeln« war da ganz pauschal die Rede, von »haydnischen Federmänteln und gar abscheulichen Götzen-Bildern, an denen noch das Blut der armen Menschen-Opfer klebet.«
    Der letzte Absatz war mit einem Bleistiftstrich am Rand gekennzeichnet, und automatisch las Raven langsamer.
    »Besonderes Stück der Sammlung aber ist ein wundersamer Toten-Kopf, der Kristallschädel, von eines echten Menschen Schädels Größe und getreulich echter Form, jedoch aus einem einzigen Edelstein geschnitten und glasklar. Es wird geflüstert, dass Montezuma, der Azteken König und greußlicher Priester in der haydnischen Stadt Tenochtitlan im Lande Mexiko, als Teufels-Magier verschrien, höchstselbst den Schädel bei unchristlichen und lästerlichem Tun, als da sein Menschenopfer und Zauber allerlei Art, gebrauchet. Der Schädel, von wundersamer und erhabener Perfection, ruhet in einem goldenen Kästchen. Der Kommandant forderte mich auf, das Kästchen mit einer Sigille aus geweihtem Wachs zu schließen, um alles Böse, das davon kommen möchte, zu schwächen und zu bannen, vermittels unseres allergnädigsten Herrgotts Macht und Bei-Hülfe. Und also tat ich. Amen.
    Niedergelegt im Jahre des Herrn 1526 zu Mexiko, bey den Westlichen Indien.«
    »Ein Kristallschädel?« Raven ließ sich schwer in seinen
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