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Rattenkoenig

Rattenkoenig

Titel: Rattenkoenig
Autoren: James Clavell
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nie wieder fürchten. Nie.
    Er fand seine Mütze und die versteckte Sardinenbüchse. Er steckte die Büchse in die Tasche, stieg die Barackentreppe hinab und ging die Straße am Stacheldrahtzaun entlang hinauf. Das Lager war jetzt beinahe verlassen. Die letzten englischen Truppen gingen heute weg, mit demselben Konvoi wie er. Sie gingen fort. Lange nachdem die Aussies weggegangen waren und eine Ewigkeit nach den Yankees. Aber damit hatte man ja rechnen müssen. Wir sind langsam, aber sehr genau.
    Er blieb vor der amerikanischen Baracke stehen. Die Segeltuchklappe des Vordachs wellte sich kläglich im Wind der Vergangenheit. Dann betrat Peter Marlowe zum letztenmal die Baracke. Die Baracke war nicht leer. Grey stand geschniegelt und in Uniform darin.
    »Sind Sie gekommen, um sich ein letztes Mal den Ort Ihrer Triumphe anzusehen?« fragte er giftig.
    »So könnte man es auch nennen.« Peter Marlowe drehte sich eine Zigarette und fegte die Tabakreste zusammen. »Und jetzt ist der Krieg vorbei. Jetzt sind wir gleichgestellt, Sie und ich.«
    »Sie haben recht.« Greys Gesicht war langgestreckt, und die Augen wirkten schlangenähnlich. »Ich hasse Sie wie die Pest.«
    »Erinnern Sie sich an Dino?«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er war Ihr Spitzel, nicht wahr?«
    »Es schadet vermutlich nichts, wenn ich es jetzt zugebe.«
    »Der King wußte über Dino genau Bescheid.«
    »Ich glaube Ihnen kein Wort.«
    »Dino hat Ihnen auf Befehl Informationen gegeben. Auf des King Befehl.« Peter Marlowe lachte.
    »Sie sind ein verdammter Lügner!«
    »Warum sollte ich lügen?« Peter Marlowes Lachen brach plötzlich ab. »Die Zeit der Lügen ist vorüber. Gewesen. Aber Dino hat wirklich auf Befehl gehandelt. Erinnern Sie sich noch, wie Sie immer zu spät kamen? Immer!«
    Oh, mein Gott, dachte Grey. Ja, ja, jetzt begreife ich alles.
    Peter Marlowe zog an seiner Zigarette. »Der King hatte sich überlegt, daß Sie wohl versuchen würden, sich einen Spitzel zu verschaffen, falls Sie keine echten Informationen erhielten. Deshalb lieferte er Ihnen einen Spitzel.«
    Grey fühlte sich plötzlich sehr müde. Sehr müde. Viele Dinge waren schwer zu begreifen. Viele Dinge, seltsame Dinge. Dann sah er Peter Marlowe und das aufreizende Lächeln, und sein ganzes aufgestautes Elend brach aus ihm heraus. Er jagte durch die Baracke, stieß das Bett des King um, verstreute seine Habseligkeiten und fauchte dann Peter Marlowe an. »Sehr klug. Aber ich habe gesehen, wie der King zurechtgestutzt wurde, und bei Ihnen werde ich es auch noch erleben. Und bei Ihrer ganzen stinkenden Klasse!«
    »So?«
    »Darauf können Sie Ihren verdammten Schädel wetten! Irgendwie werde ich Sie schon noch fertigmachen, und wenn ich den Rest meines Lebens dazu brauche. Am Ende werde ich Sie doch schlagen. Einmal geht Ihr Glück zu Ende.«
    »Glück hat nichts damit zu tun.«
    Grey zeigte mit dem Finger auf Peter Marlowes Gesicht. »Sie sind unter einem Glücksstern geboren. Mit Glück haben Sie Changi hinter sich gebracht. Sie haben sogar von Ihrer Seele das kostbare bißchen gerettet, das Sie überhaupt besessen haben!«
    »Von was reden Sie eigentlich?« Peter Marlowe schob den Finger beiseite.
    »Verkommenheit. Moralische Verkommenheit. Sie wurden eben noch rechtzeitig gerettet. Noch einige Monate unter dem üblen Einfluß des King, und Sie wären für immer verändert gewesen. Sie hatten schon begonnen, ein großer Lügner und Betrüger zu werden – wie er.«
    »Er war nicht böse, und er hat auch niemanden betrogen. Er hat sich nur den Umständen angepaßt.«
    »Die Welt wäre ein trauriger Ort, wenn jeder sich hinter dieser Ausrede verschanzen wollte. Es gibt nämlich … Es gibt so etwas wie Moral.«
    Peter Marlowe warf seine Zigarette auf den Boden und zertrat sie zu Staub. »Erzählen Sie mir bloß nicht, Sie wären lieber mit Ihrer gottverdammten Tugend tot als mit dem Bewußtsein lebendig, daß Sie ein paar Zugeständnisse machen mußten.«
    »Ein paar?« Grey lachte heiser. »Sie haben alles verkauft. Ehre – Anstand – Stolz – alles für ein Almosen von dem dreckigsten Schwein in diesem Stinkloch!«
    »Und wenn Sie es sich richtig überlegen, dann war das Gefühl für Ehre beim King stark ausgeprägt. Aber in einem haben Sie recht. Er hat mich verändert. Er hat mir gezeigt, daß ein Mensch unabhängig von seiner Herkunft oder Vergangenheit ein Mensch ist. Entgegen allem, was man mich gelehrt hat. Deshalb war es unrecht von mir, Sie wegen etwas zu verhöhnen,
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