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Rasheed, Leila

Rasheed, Leila

Titel: Rasheed, Leila
Autoren: Rueckkehr nach Somerton Court
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darunter leiden musste. Sie hatte es ja die ganze Zeit gesagt: Die bringt nur Ärger, diese Stella.

35
    Ada stellte das Tablett auf einer Kommode ab und klopfte an die Bibliothekstür. Sie bebte innerlich beim Gedanken an das Gespräch, das ihr bevorstand. Es würde ihr schwerfallen, ihrem Vater ins Gesicht zu sehen. Er tat ihr sehr leid, nicht zuletzt deshalb, weil ihm seine Schuld vollkommen bewusst war. Sie konnte ihn nicht einfach links liegenlassen oder sich gar von ihm abwenden wie anscheinend der Rest der Familie. Außerdem musste sie sich für Rose und Mrs Cliffe einsetzen.
    »Herein«, hörte sie endlich seine Stimme.
    Ada trat mit dem Tablett vor sich in den Raum. Ihr Vater saß allein an dem großen Lesetisch. Die Leselampe brannte, aber er las nicht, sondern starrte ins Dunkel.
    »Ich … ich habe dir etwas zu essen gebracht«, sagte Ada leise und setzte das Tablett bei ihm ab.
    Er schrak zusammen. »Ada. Ich danke dir.«
    Ada zögerte. »Mrs Cliffe und Rose sind gegangen«, sagte sie dann.
    »Gegangen?« Er beugte sich erschrocken vor. »Wohin?«
    »Ich habe sie überredet, im Dorf zu bleiben, im Averley Arms . Lady Westlake hat ja verlangt, dass sie die Gegend verlassen. Aber ich dachte, du wärst sicher nicht glücklich damit, wenn sie ganz von hier vertrieben würden.«
    »Um Gottes willen, natürlich nicht.« Er klang sehr elend. »Ada, ich habe die größte Dummheit gemacht, habe etwas Furchtbares angerichtet. Ich muss mich bei jedem in diesem Haus aufs Unterwürfigste entschuldigen. Aber dass die Folgen so grausam sein könnten, hätte ich mir niemals träumen lassen, das schwöre ich dir.«
    Ada ließ den Kopf hängen. Sie dachte an ihre Beziehung mit Ravi.
    Ihr Vater fuhr fort, fast, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Manchmal sind die Gefühle so stark … sie können jedes Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein beiseitefegen.«
    Ada schluckte schwer. »Und die Liebe? Ich meine, was war mit meiner Mutter, Papa?«
    Ihr Vater schwieg eine Weile, dann sagte er leise und voller Schmerz: »Weißt du, ich bin mit Rosaline aufgewachsen … Sie und ich waren immer Freunde, als sie ein Dienstmädchen war und ich zur Schule ging. Aber ich wusste, dass ich eine gute Partie machen musste, das haben mir meine Eltern immer wieder gesagt. Ich hatte den größten Respekt vor deiner Mutter. Den allergrößten.«
    »Aber geliebt hast du sie nicht«, sagte Ada leise.
    »Nein. Es tut mir sehr, sehr leid, Ada.«
    Lange sagte keiner ein Wort.
    »Ich habe etwas überaus Beschämendes getan, was kein Gentleman tut«, sagte ihr Vater fast zu sich selbst. »Etwas Unentschuldbares.«
    »Sag das nicht, Papa!«
    »Ich habe mich natürlich nach Kräften bemüht, das Beste in dieser Situation zu machen. Ich habe Rose durch ihre ganze Kindheit hindurch unterstützt, und sobald ich wusste, dass wir nach Indien gehen würden, habe ich dafür gesorgt, dass sie und ihre Mutter nach Somerton Court zurückkehren, damit sie in Sicherheit wären. Aber mein Leben war eine einzige Lüge.«
    »Für mich ist das alles kaum zu fassen«, sagte Ada. Unvorstellbar, dass ihr Vater all die Jahre ein Geheimnis mit sich getragen hatte, von dem sie nichts geahnt hatten. Aber sie konnte keinen Zorn empfinden. Sie verstand nur zu gut, wie es war, wenn einen die Leidenschaft überwältigte. Jetzt ging es darum, die Unschuldigen zu schützen.
    »Papa, du wirst nicht zulassen, dass Rose und Mrs Cliffe hinausgeworfen werden, oder? Das ist nicht fair. Mrs Cliffe war dir gegenüber immer loyal. Und wenn du mir und Georgiana eine Unbesonnenheit verzeihst, solltest du dasselbe auch bei Rose tun. Auch sie ist deine Tochter, und du weißt, dass ich den größten Teil der Schuld an diesem unglücklichen Abend trage.«
    Ihr Vater seufzte. »Ihnen wird es gewiss an nichts fehlen, solange ich für sie sorgen kann. Aber eine Rückkehr nach Somerton … ich weiß nicht.«

    Die Sonne ging unter, die Ringeltauben gurrten auf den Kastanienbäumen rings um Averley Arms. Mrs Cliffe saß in einem Sessel am Fenster und las im letzten Licht – oder tat zumindest so. Sie konnte sich ihren vertrauten Romanen nicht so hingeben wie sonst.
    In der Pension hatte man Fragen gestellt. Mrs Cliffe hatte nicht geantwortet, und Rose hatte Ausflüchte gemacht, aber die Fragen blieben bestehen, sie sahen sie in den Augen der Leute, hörten sie in ihrem Schweigen. Früher oder später würde die Wahrheit ans Licht kommen, genau wie auf Somerton Court. Das war fast eine
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