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Radioactive -Die Verstossenen

Radioactive -Die Verstossenen

Titel: Radioactive -Die Verstossenen
Autoren: Maya Shepherd
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besser warst als ich.’
    Als ich nicht antworte, fährt A470 fort. „D518, hältst du dich für etwas Besseres?“
    Meine Augen weiten sich erschrocken und ich beeile mich eiligst zu verneinen. ‚Wir sind alle gleich’ , rufe ich mir ins Gedächtnis und wiederhole es für mich wie eine Parole. Niemand ist anders. Niemand ist etwas Besseres.
    Meine Augen gleiten über die Anwesenden. Wir gleichen einander wie eineiige Zwillinge. Es gibt auf den ersten Blick keine erkennbaren Unterschiede.
    A470 verengt ihre Augen zu Schlitzen und beugt sich über das Geländer.
    „D518, wenn du mit deiner Zuordnung nicht zufrieden bist, solltest du vielleicht besser zu G518 herabgesetzt werden.“
    Nein, nein, nein! Ich beginne unkontrolliert zu atmen.
    „Bitte nicht! Ich habe nicht nachgedacht, bevor ich gesprochen habe. Es tut mir leid. Bitte… Ich hatte nur etwas anderes erwartet. Es ist mein Fehler. Bitte stufen sie mich nicht ab!“, beginne ich eilig zu flehen. Gruppierung G ist das Schlimmste, was einem nur passieren kann. Im Grunde könnten sie einen auch direkt erschießen. G steht für Verstoßene. Nur Menschen, die sich weigern, sich auf der Krankenstation heilen zu lassen, erhalten diese Gruppierung. Sie sind eine Gefahr für sich selbst und die ganze Legion, deshalb werden sie der Sicherheitszone verwiesen. Sie sterben einen qualvollen Tod.
    A470 zeigt sich gnädig und richtet sich wieder auf. „Nun gut, du bist einsichtig. Geht!“, befielt sie und verlässt geschlossen mit den anderen Legionsführern die Tribüne. Als ich mich umdrehe, bemerke ich den Blick von D523. Nachdenklich blickt sie mich an. Sie muss mich verachten. Wie dumm von mir, die Legionsführer anzusprechen. Warum kann ich mich nicht einfach wie alle benehmen? Vielleicht wäre ein Besuch auf der Krankenstation gar nicht so verkehrt. Ich denke einfach zu viel.
    Beim Verlassen der Arena trifft mein Blick den von C515, doch er schaut sofort weg. Er will nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich wäre schlecht für seinen Ruf. Seltsamerweise macht mich das traurig. Irgendwie mochte ich ihn mehr als die anderen. Vielleicht weil er für mich nicht wie alle anderen war.

    Exakt um 06.00 Uhr öffne ich meine Augen. Der vergangene Tag und meine Zuordnung erscheinen mir wie ein schlechter Gedanke, fast unwirklich. Mein Schlaf war genauso gut wie immer, das liegt daran, dass er gesteuert wird. In unserem Bett befinden sich kleine Sensoren, die Unruhe anhand von erhöhtem Herzschlag oder Schweißausstoß bemessen. Sollte das der Fall sein, beruhigen sie uns in Form von Gas. Es ist wichtig, dass wir erholsamen Schlaf finden, um volle Leistungsfähigkeit erreichen zu können.

    Während ich auf meine Nahrungsration warte, betrachte ich in der gegenüberliegenden Metallwand mein verschwommenes Spiegelbild. Meine Augen leuchten in einem matten Blau, so schwach, dass sie kaum auffallen. Durch die angeraute Oberfläche der Wand habe ich mein Gesicht noch nie klar gesehen, sondern immer nur als beigerosafarbenen Fleck. In der ganzen Sicherheitszone gibt es keine klare Fläche. Dies dient zu unserem eigenen Schutz. Trotzdem wüsste ich gerne, wie ich selber aussehe. Ich weiß nicht, ob meine Nase groß oder klein, meine Lippen schmal oder voll sind. Vielleicht habe ich abstehende Ohren. Nichts ist zu erkennen, ich kann mich lediglich an dem Aussehen der anderen Besatzungsmitglieder orientieren. Die Unterschiede sind so minimal, dass sie manch einem gar nicht auffallen, doch ich präge mir gerade diese Unterschiede ein. Denn an diesen winzigen Unterschieden identifiziere ich die Menschen. Für mich sind sie nicht nur Nummern und Buchstaben, sondern Hände, Finger, Ohren, Münder, Augen, Augenbrauen, Falten, Grübchen, Pigmentflecken. Die Legionsführer müssen das wissen. Es muss noch mehr Menschen wie mich geben, sonst hätten sie bei dem gestrigen Leistungstest nicht danach gefragt.
    Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass sie vielleicht nicht wollen, dass man die Unterschiede erkennt. Schließlich geht bei uns alles darum, möglichst gleich zu sein. Menschen, die wissen, dass es nicht so ist, bilden ein Risiko. Vielleicht sehen sie mich als Risiko und deshalb wurde ich in die Essensausgabe eingeteilt.
    „Bitte entnehmen Sie Ihre heutige Nahrungsration!“, tönt es in dem Moment aus dem Lautsprecher. Ich blicke nach unten und sehe fünf Cerealienwürfel, eine Vitamintablette, eine Eiweißtablette und ein Glas Wasser.

    Um 06:30 Uhr öffnet sich die Tür und ich
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