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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights
Autoren: Tom Liehr
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nachfolgende Band ansagen mußte –
Hootie And The Blowfish
, man hatte vergessen, ihn zu informieren, ihm im letzten Moment einen Zettel zugesteckt. Der arme Hootie dachte wahrscheinlich:
     Scheiße, ich stehe zwar auf der Bühne, aber eigentlich soll jetzt jemand ganz anderes spielen.
    Hagelmacher trug seine roten Sprenkel noch ein paar Tage, und er rückte den Preis einfach nicht raus, weil er der Meinung
     war, für den Streß dürfte er das Ding eine Weile für sich behalten.
     
    »Ist es das?« fragt Lindsey. »Der Gipfel?«
    Ich schüttle den Kopf: »Den gleichen Preis hat
Boulevard Berlin
vor fünf Jahren bekommen. Und danach
BPB, Best Pop Barcelona
, eine verfluchte Top-40-Station mit einer Mitarbeiterfluktuation wie eine Bushaltestelle.
PowerRock
war nie nominiert, aber als wir angefangen haben, gab es den Preis noch nicht.«
    » MBR
ist eine fucking kleine Station, im Vergleich zu denen. Das ist schon eine Anerkennung.«
    Er hebt den Preis hoch und hält ihn ins spärliche Kneipenlicht. Das Ding wird dadurch nicht schöner. Daß Lindsey trotz der
     großen persönlichen Erfolge so viel darauf gibt, was Leute von seiner Arbeit halten, die überhaupt nichts mit ihr zu tun haben,
     sondern ausschließlich digital remasterte Klassik hören, im dicken Ohrensessel, vor schweineteuren Elektrostaten, in einer
     Bibliothek mit lauter ungelesenen Büchern. Erstaunlich. Die Bosse der amerikanischen
Networks
, die Chefredakteure der deutschen Wichtig-Wichtig-Magazine. Alles die gleiche Suppe. Von denen hört doch niemand
wirklich
Radio.
     
    Ich seufze, ein bißchen theatralisch. »In der Jury sitzen die gleichen Idioten wie in den Programmbeiräten der öffentlich-rechtlichen,
     in den Chefetagen der sinnlosen Fachzeitschriften. |248| Ob die uns für gut halten oder ob in Papua-Neuguinea ein paar Akkus in einem Transistorradio alle sind – das nimmt sich nicht
     viel.«
    Lindsey nickt leicht unwillig, nimmt einen Schluck. Ich spüre, daß Liddy sich nähert, und drehe mich um. Sie ist noch ein
     paar Meter entfernt, trägt ihren Bauch, wie andere einen hübschen Hut, vorausgesetzt, irgendwer entwirft irgendwann mal einen
hübschen
Hut. Sie strahlt. »Na, ihr. Feiern?«
    Ich zucke die Schultern, wir küssen uns.
    »Die Besten in Europa, alle Achtung«, sagt sie, während sie sich setzt. Sie sieht den
Award
zum ersten Mal.
    »Donny hält nichts davon«, mufft Lindsey, gekünstelt verärgert.
    »Ich glaube, selbst wenn das ganze Land
Marbrunn Radio
hören würde, wäre Donny nicht zufrieden. Nicht wahr?«
    Lindsey hält sich den Preis vor den Mund. »Don FM Kunsse für
Marbrunn World Radio

    Ich atme durch, sehe Lindsey an: »Die Zahl der theoretisch erreichbaren Hörer ist doch letztlich egal, das ist nur eine Frage
     der Sendeleistung, der Infrastruktur, der Kohle, genaugenommen. Es kommt darauf an, was man den Hörern bedeutet. Am Anfang,
     vor fast hundert Jahren, da war Radio noch wirklich Kommunikation. Nicht irgendwas im Hintergrund, das man mal lauter dreht,
     wenn ein paar Mücken zu gewinnen sind.« Ich werfe Liddy abermals einen Blick zu. »Oder weil man den Hit mitsummen will.«
    Sie kann offensichtlich mit der Bemerkung nichts anfangen, außerdem bringt der Kellner ihren Wein. Ein Gläschen, maximal,
     und nur zur Feier des Tages. Schließlich wollen wir kein blaublütiges Baby.
    »Inzwischen gibt es fucking TV«, sagt Lindsey. »Infor mation , Nachrichten,
Trivia
, das holt sich keiner mehr aus dem Radio. Höchstens, wenn man im Auto sitzt. Im Fernsehen bekommt man sogar die Bilder zu
     den Nachrichten, manchmal sogar live. Fucking
Desert Storm

    »Ist schon richtig. Und warum sehen die Leute in unserer |249| Region viel weniger fern als anderswo – und hören dafür viel mehr Radio?«
    »Weil sie uns lieben?«
    »Natürlich lieben uns die Leute, mich, dich, den unglaublichen Hagelmacher. Weil wir sie nicht verarschen, sondern einfach
     unsere Arbeit machen. Bei den meisten Sendern werden die Hörer vorgeführt, sie bekommen das Gefühl vermittelt, im Vergleich
     zu
Mister Radiostar
das letzte, unwichtige Licht zu sein, und sie müssen das auch noch mögen. Dabei ist es im schlimmsten Fall genau umgekehrt.«
    »Und? Was kommt als nächstes? Wie willst du das steigern, was wir machen?«
    Ich lehne mich zurück.
    »Ich würde
Fuck Radio
machen. Schmutziges, ehrliches Anarcho-Radio, von Profis produziert. Unerwartet, spontan, chaotisch, aber perfekt. Pausenlos.
     Keine Eckpunkte, keine wirklich
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