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Radikal führen

Radikal führen

Titel: Radikal führen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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werden. Mit jeder Ihrer Handlungen müssen Sie den Mitarbeiter in eine unternehmerische Disposition bringen. Jede Anregung, jede Information und jede organisatorische Entscheidung muss ihn animieren, eigenständig zu handeln mit Blick auf das Ganze und eine gemeinsame Zukunft. Eine solche Führung verzichtet keineswegs auf den Kontakt zum Mitarbeiter, aber sie ist indirekt. Sie schafft Strukturbedingungen mit dem Ziel, dass der Mitarbeiter Teil des unternehmerischen Gesamtauftrags wird.
    Das ist grundsätzlich die einzig legitime Aufgabe der Führung: Führung zur Selbstführung. Ihre wahre Funktion ist weniger das Unterrichten, vielmehr das Aufrichten. Hellhörig für Berufungen zu werden. Andere ermutigen, ihr Potenzial zu verwirklichen. Ihnen zuzurufen: »Geh deinen eigenen Weg!«
    Die Philosophie des Zutrauens hat der französische Fußballmanager Arsene Wenger so zusammengefasst: »Alle großen Erfolge, alle gelungenen Leben, beinhalten das Zusammentreffen von Einsatz und Talent. Aber ebenso das Glück, Menschen getroffen zu haben, die an dich glaubten. An irgendeinem Punkt deines Lebens brauchst du jemanden, der dir auf die Schulter klopft und sagt: ›Ich glaube an dich‹.« Wenn Menschen das Gefühl haben, ihnen wird etwas zugetraut, dann wachsen sie an ihren Aufgaben. Der »Pygmalion-Effekt«: Schon manche sind in die Kleider hineingewachsen, die andere ihnen geschneidert haben.
    Wenn Sie das als Führungskraft konsequent zu Ende denken, dann ist es irgendwann nicht mehr steigerbar. Dann haben Sie Ihren Job gemacht. Dann ist er zu Ende. Durch Ihr aktives Zutun, das auch dann noch anhält, wenn Sie nicht persönlich anwesend sind. So gesehen bedeutet Führung, mit dem Mitarbeiter gemeinsam etwas zu schaffen und ihn zu begleiten – bis zu dem Punkt, wo der Mitarbeiter keine Führung mehr braucht.
    Führung ist daher Hin-Führung zur Freiheit. Ziel muss es sein, eine Gruppe von Mitarbeitern so zusammenzustellen und zu entwickeln, dass sie möglichst ohne Führung auskommt. Das beste Mittel, Sie als Führungskraft zu messen, ist mithin die Leistung Ihrer Mitarbeiter in Ihrer Abwesenheit. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine gute Führungskraft sich überflüssig macht. Also sich klug und angemessen zurückzieht.
    Wenn Sie als Führungskraft das tun, kommen Sie automatisch in neue Dilemmata. Nur wenige seien genannt. Erstens: Das Schweigen des Chefs, also Ihr Schweigen – signalisiert das Vertrauen in die Stärke der Mitarbeiter? Oder signalisiert es Ignoranz? Das können wir ohne genaue Kenntnis des Kontextes nicht beantworten. Aber es könnte dennoch positive Konsequenzen haben: wenn Mitarbeiter sich plötzlich auf sich selbst verlassen müssen. Zweitens: Was ist mit der sogenannten Fürsorgepflicht des Vorgesetzten? Darüber kann man streiten. Wenn Sie aber in einem existenzialen Sinne von der Gleichheit aller Menschen ausgehen, dann gilt: Gegenüber Menschen, die ihre Interessen selbst artikulieren können, verbietet sich die Einstellung der Fürsorglichkeit. Weil es Erwachsene sind, keine Kinder. Und auch keine Behinderten. Dann muss man den Menschen auch die Chance geben, erwachsen zu leben. Hilfe ist nur da notwendig, wo ein Mensch sich nicht mehr selbst helfen kann. Drittens: Einige Mitarbeiter werden sagen: »Der führt ja gar nicht! Wozu ist der überhaupt da?« In der Tat: Was bleibt von einer Führung, wenn sie erfolgreich zur Selbstführung geführt hat? Führungskräfte haben genau deshalb oft kein Interesse an selbstverantwortlichen Mitarbeitern.
    In einer kurzfristigen Perspektive sieht es tatsächlich so aus, als handelten Sie gegen Ihr Eigeninteresse. Aber ist es das wirklich? Ist es ein rein altruistisches Von-sich-weg-Schauen? Nein, das Gegenteil ist der Fall! Führungskräften, die oft unter der Arbeitslast stöhnen und froh sind, wenn alles rund läuft, ist durch selbstverantwortliche Mitarbeiter geholfen. Mehr noch: Aus dem Sich-Zurückziehen kann ein großer Stolz entstehen. Es gibt einen tiefen Abgrund zwischen dem Stolz, anderen Menschen überlegen zu sein, und dem Stolz, die Lebens-Chancen anderer erhöht zu haben.
    Führung ist die Kunst, sich vergessen zu machen. Was nicht heißt, dass man sie vergessen kann. Im Gegenteil! Wie dringend brauchen wir Führungskräfte, die sich aus der Überzuständigkeit zurückziehen, die Platz machen für Selbstführung, für Selbstorganisation. Um genau jenen Verlust einer unternehmerischen Zentralperspektive zu kompensieren, der für
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