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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer
Autoren: Andreas Gruber
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durchs Fenster ins Wageninnere. Sie umklammerte seine Hand, bevor diese ihren Hals erreichte, und …
    … wieder spürte sie den Jutesack über dem Gesicht…
    In diesem Moment sprang der erhitzte Zigarettenanzünder aus der Konsole. Evelyn griff mit der freien Hand danach, zog den Stöpsel heraus und fuhr dem Mann mit der glühenden Metallspirale über die Finger.
    Ruckartig wich er zurück. Evelyn ließ seine Hand los, und er stolperte rücklings über seine eigenen Beine. Als er stürzte, fiel ihm der Schlüsselbund aus der Hand. Während er auf allen vieren danach suchte und sich anschließend aufrappelte, ließ Evelyn die Scheibe nach oben fahren und betätigte die Zentralverriegelung.
    Als sie im nächsten Augenblick durchs Fenster blickte, war er fort. Im Rückspiegel sah sie, wie er in einer Seitengasse verschwand.
    Ihr Herz raste. Sie atmete tief durch und steckte den Zigarettenanzünder zurück. Seit Jahren wollte sie einen Judokurs besuchen, hatte jedoch nie die Zeit dafür gefunden. Sie hätte auf ihre tägliche Joggingrunde durch den Stadtpark verzichten müssen, aber daran lag ihr zu viel. Vergiss den Idioten, sagte sie sich. Konzentrier dich!
    Sie beugte sich auf den Beifahrersitz und wühlte im Chaos des Handschuhfachs herum. Zwischen den Kondomen und Zigarettenpackungen stieß sie auf einen zusammengefalteten Flyer.
    »Wer sagt’s denn«, murmelte sie.
    Das Sankt-Anna-Kinderspital.
    Die Werbebroschüre lud zu einer Benefizveranstaltung für krebskranke Kinder ein. Zweifellos saß sie in Kieslingers Wagen. Stand der Porsche etwa schon seit zwei Wochen hier? Kieslingers Witwe hatte keinen Porsche erwähnt. Möglicherweise wusste sie nichts von dem Auto. Evelyn starrte auf die roten Erdbeer-Kondome. Dann sah sie durch die Seitenscheibe auf die blinkenden Neonröhren des Entrez-Nous. Ein Nachtclub in dieser Gegend war zwar nicht gerade exklusiv und nobel - aber gewiss diskret. Andernfalls würden keine Audis oder Mercedes davor parken.
    Bestimmt wusste Kieslingers Witwe weder von diesem Porsche noch was ihr Mann nach seinen Besuchen bei diversen Benefizveranstaltungen trieb. Evelyn würde es herausfinden.
     
    4
     
    Der Nachtclub sah von innen besser aus als von außen - ein so genannter Insidertipp für Besucher, die zu viel Geld in der Tasche hatten. Der billigste Drink kostete fünfzehn Euro. Dass sich ein solcher Club ausgerechnet in dieser Gegend ansiedelte, konnte nur an der billigen Miete liegen.
    Jetzt, um zehn Uhr nachts, war der Schuppen noch nicht von Zigarettenqualm vernebelt. Das Geschäft lief sicherlich erst in ein paar Stunden an. Evelyn ging zur Bar, nahm auf einem Hocker Platz und bestellte einen Daiquiri. Als der Barkeeper mit dem Getränk ankam, winkte sie ihn näher zu sich.
    »Draußen torkelt ein Kerl im Anzug um die Autos herum«, rief sie gegen den Lärm, der aus den Boxen dröhnte.
    Der Glatzkopf mit Kinnbart, Piercing in der Lippe und Spinnennetz-Tattoo auf dem Hals lehnte sich über den Tresen. »Das ist Rudi. Um diese Zeit ist er meistens hier. Ein Stammkunde.«
    »Er ist ziemlich voll.«
    »Zweimal pro Woche trinkt er sich seinen Frust von der Seele. Burnout, Ehekrach, Firmenpleite, Alimentezahlungen an die Ex … Es ist immer dasselbe. Hat er Sie belästigt?«
    Evelyn gab keine Antwort.
    »Der tut keinem was, braucht bloß jemanden zum Reden.«
    Evelyn hatte den Eindruck, dass Burnout-Rudi etwas anderes von ihr gewollt hatte. Sie versuchte, ihn zu vergessen. »Haben Sie auch am Samstag vor zwei Wochen gearbeitet?«, fragte sie.
    »Scheiße, ja. Ich bin jede Nacht hier.«
    Sie schob die Mappe mit Kieslingers Autopsiebericht über den Tisch. Der Glatzkopf sah sie fragend an. »Öffnen Sie die Mappe«, forderte sie ihn auf.
    Der Barkeeper zögerte, dann schlug er den Deckel auf. Sein Blick starrte auf Kieslingers aufgequollenes Gesicht, das unter der Neonröhre auf dem Autopsietisch so bleich wirkte, als hätte er wochenlang im Schacht gehangen. Neben dem Foto lag ein Hunderteuroschein.
    »Kennen Sie den Mann?«, fragte Evelyn.
    Der Barmann schob den Geldschein beiseite. »Nicht seinen Namen.«
    »Der ist unwichtig. Kennen Sie ihn?«
    »Er ist ab und zu hier.«
    »War ab und zu hier«, korrigierte Evelyn ihn. »Ein pensionierter Kinderarzt. Kam er auch am Samstag vor zwei Wochen her?«
    Als ein zweiter Barkeeper mit einem leeren Tablett hinter die Theke trat, ließ der Glatzkopf den Geldschein verschwinden und schlug die Mappe zu. »Sind Sie von der Polizei?«
    »Sehe ich
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