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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer
Autoren: Andreas Gruber
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Art«, antwortete sie nur. »Sie wollen Ergebnisse - wie ich sie liefere, bleibt meine Sache.«
    Er starrte sie eine Weile an. »Von mir aus. Aber nachdem dieser Fall abgeschlossen ist, reden wir ein ernstes Wort miteinander. Es gibt da eine lukrative Sache, die ich Ihnen anvertrauen möchte.«
    »Wird eine kleine Privatbank verklagt, weil sie unbürokratisch arbeitet, keine Kontospesen verrechnet und den Großbanken die Kunden wegschnappt?«
    »Überlassen Sie die zynischen Bemerkungen besser mir, dafür sind Sie zu jung und zu hübsch.« Er nickte zur Tür. »Schließen Sie sich uns an?«
    »Ich arbeite weiter.«
    »Ihre Entscheidung.« Krager wedelte mit der Mappe. »Das Strafverfahren wurde eingestellt. Kieslingers Autopsiebericht kam heute Nachmittag vom Gericht herein.«
    Evelyn fuhr im Stuhl hoch. Kieslinger war der Mann, der in den offenen Kanalschacht gefallen war. »Seit drei Tagen warte ich darauf!«
    »Ich wollte Ihnen die Unterlagen erst morgen geben, nach der Feier. Aber da Sie sich ohnehin in den Fall verbeißen und nicht eher Ruhe geben …« Er ließ den Satz unausgesprochen und legte die Mappe auf den Tisch.
    Sofort schlug Evelyn den Deckel auf und überflog die Zeilen des Gerichtsmediziners, bis sie zu der Stelle mit Todeszeit und Todesursache kam. Ihr stockte der Atem.
    »Kieslinger ist weder an Genick- noch an Schädelbruch gestorben«, sagte Krager. »Sie haben den Bericht gelesen?«
    »Natürlich. Zwischen Sekt, Geplänkel und Kaviarbrötchen gibt es immer wieder eine stille Minute. Hören Sie, Evelyn …« Wieder der väterliche Ton, doch diesmal mit einem leisen, gefährlichen Beigeschmack. »Sie werden den Fall verlieren. Der Obduktionsbericht bricht Ihnen das Genick. Kieslinger ist kopfüber in den engen Kanalschacht gestürzt und knapp über dem Boden steckengeblieben. Der Schacht stand dreißig Zentimeter unter Wasser. Kieslinger konnte sich nicht bewegen und ist…«
    »… ertrunken«, vollendete Evelyn den Satz. Sie blickte vom Autopsiebericht auf.
    »In Luftröhre, Lunge und Magen befanden sich zwei Liter Abwasser.«
     
    2
     
    Die engen Gassen des zweiten Wiener Gemeindebezirks waren zu dieser späten Stunde wie leergefegt. Wer dennoch durch die Gegend lief, war entweder Zuhälter, Geldeintreiber, ging auf den Strich oder wollte sein Geld um jeden Preis in einer Bar loswerden. Noch dazu sahen die Gassen bei Nacht verheerender aus als bei Tag. An manchen Stellen war die Straßenbeleuchtung ausgefallen. Müllsäcke stapelten sich auf und neben den vollen Tonnen, Hundekot lag an jeder Häuserecke, und aus manchen Wohnungen drang der übliche Ehestreit.
    Das Geschrei erinnerte Evelyn an die Auseinandersetzungen ihrer Eltern, die sie als Mädchen belauscht hatte. Eigentlich war ihre Kindheit nicht so schlecht verlaufen - bis zu jenem Zeitpunkt, als sie den Mann kennengelernt hatte, der alles veränderte. Ab diesem Moment war ihre Kindheit zu Ende gewesen.
    Sie stieg über die leeren Holzpaletten eines Gemüseladens, dessen Rollläden zur Hälfte unten waren. Nachdem sie die Punkte des Autopsieberichts mehrmals in ihrem Büro durchgegangen war, hatte sie versucht, Patrick am Handy zu erreichen - ihre dubiose Quelle. Ab und zu war er ihr bei Ermittlungen behilflich, doch diesmal ging er nicht ans Telefon. Aber sie würde auch ohne ihn herausfinden, was vor zwei Wochen in der Czerningasse passiert war.
    Evelyn hatte die Kanzlei durch die Hintertür verlassen, ohne den anderen ein Wort zu sagen. Noch ein paar Gläser Sekt, und nicht einmal Krager würde ihre Abwesenheit bemerken. Während der Autofahrt hatte sie mit der Tochter ihrer Nachbarin telefoniert, die einen Schlüssel zu Evelyns Wohnung besaß. Conny liebte es, wenn sie Bonnie und Clyde mit Hühnchen aus der Dose füttern durfte. Natürlich tat das Mädchen damit auch ihr einen Gefallen. Wegen all der Geschäftsessen und Abendtermine, die oft bis Mitternacht dauerten, hätten die beiden Katzen bestimmt schon längst den Aufstand geprobt, in Evelyns Schuhe gepinkelt oder die Vorhänge von den Gardinenstangen gefetzt.
    Evelyns Ford Fiesta parkte unter einer der wenigen funktionierenden Laternen an der Häuserecke. Von dort war sie zu Fuß in die Czerningasse gegangen. Das Klappern ihrer Stöckelschuhe hallte von den Hauswänden wider. Nach wenigen Metern erreichte sie den Ort, wo Kieslinger vor zwei Wochen gestorben war. An der Ecke befand sich eine winzige Bankfiliale mit einem Geldautomaten, auf der gegenüberliegenden Straßenseite
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