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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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eine Weile in Ruhe zu lassen, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Zum Glück war beide Male nur der Anrufbeantworter dran, und so weit hatte ich mich im Griff, dass ich keine Nachricht hinterließ.
    Am liebsten hätte ich ihn viel öfter angerufen. Wenn ich nicht gerade schlief, konnte ich mich kaum davon abhalten, ständig zum Telefon zu laufen. Doch weil die letzte Telefonrechnung enorm hoch gewesen war (ich weiß nicht, was Helen gemacht hatte), bewachte mein Vater den ganzen Tag das Telefon. Jedes Mal, wenn ich den Hörer in die Hand nahm, merkte Dad das, wo immer er war, und sei es vier Meilen entfernt auf dem Golfplatz, und lauschte angestrengt. Wenn ich eine Nummer wählen wollte, die mehr als sieben Stellen hatte, kam er spätestens bei der achten Ziffer ins Zimmer und schrie: »Leg den verdammten Hörer auf!« Das verhinderte gründlich, dass ich Luke erreichte, aber es förderte nostalgische Erinnerungen. Ich fühlte mich in meine Zeit als Teenager zurückversetzt. Fehlte nur noch, dass er sagte: »Punkt elf Uhr, Rachel, und keine Minute später. Es ist mir ernst. Wenn du mich wieder warten lässt, war das das letzte Mal.« Dann hätte ich mich wirklich wie vierzehn gefühlt. Aber warum sollte ich vierzehn sein wollen? Vierzehn, bei einer Größe von einszweiundsiebzig und Schuhgröße einundvierzig.
    Zwischen meiner Mutter und mir knisterte es die ganze Zeit. Als ich mich am ersten Tag auszog und ins Bett gehen wollte, sah ich, wie sie mich anstarrte, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen.
    »Gott Allmächtiger.« Ihre Stimme zitterte. »Woher hast du bloß die ganzen blauen Flecken?«
    Ich sah an mir herab und dachte, es müsste der Körper von einer anderen sein. Auf meinem Bauch, an den Armen und auf der Brust hatte ich eine Unmenge dunkellila Flecken.
    »Oh«, sagte ich kläglich. »Das kommt wahrscheinlich vom Krankenhaus, als sie mir den Magen ausgepumpt haben.«
    »Gott im Himmel.« Sie wollte mich in den Arm nehmen. »Das hat mir keiner gesagt ... Ich dachte ... Ich wusste nicht, dass es so brutal dabei zugeht.«
    Ich schob sie weg. »Jetzt weißt du es.«
    »Mir ist ganz schlecht«, sagte sie.
    Sie war nicht die Einzige.
    Danach vermied ich es beim An – und Ausziehen, in den Spiegel zu sehen. Zum Glück war es Februar und eiskalt, sodass ich im Bett langärmlige und hochgeschlossene Nachthemden tragen konnte.
    In diesen zwei Tagen hatte ich einen abscheulichen Traum nach dem anderen.
    In einem, meinem alten Lieblingstraum, war ein furchterregendes Wesen in meinem Zimmer, und ich konnte nicht aufwachen. Es bedrohte mich und wollte mir weh tun. Und wenn ich aufwachen wollte, um mich zu verteidigen, konnte ich das nicht. Das Wesen kam immer näher und beugte sich schließlich über mich, und obwohl ich in panischem Entsetzen dalag, konnte ich einfach nicht au- wachen. Ich war wie gelähmt. Unaufhörlich versuchte ich, an die Oberfläche, ins Wachsein zu kommen, aber ich wurde unter der Decke des Schlafs erstickt.
    Dann träumte ich den Traum, in dem ich sterbe. Das war schrecklich, weil ich spürte, wie sich meine Lebenskraft aus mir herauszwirbelte, wie ein umgekehrter Wirbelsturm, und ich konnte nichts tun, um das zu verhindern. Ich wusste, dass es meine Rettung wäre, wenn ich aufwachte, aber ich konnte nicht aufwachen.
    Ich träumte, dass ich von den Klippen stürzte, dass ich einen Autounfall hatte, dass ein Baum auf mich fiel. Jedes Mal spürte ich den Aufprall und schreckte hoch. Schwitzend und zitternd wachte ich auf, und ich wusste weder, wo ich war, noch, ob es Tag war oder Nacht.

    Bis zum zweiten Abend nach meiner Rückkehr ließ Helen mich in Ruhe. Ich lag im Bett und hatte Angst aufzustehen, als sie, ein Cornetto-Eis lutschend, ins Zimmer kam. Ihre nonchalante Art verhieß nichts Gutes.
    »Hallo«, sagte ich. »Ich dachte, du wärst mit Margaret und Paul in den Pub gegangen.«
    »Wollte ich auch, hab’s mir aber anders überlegt.«
    »Warum?«
    »Weil dieser Geizkragen Paul gesagt hat, er lädt mich nicht mehr ein«, sagte sie gehässig. »Und wo soll ich das Geld hernehmen, um in den Pub zu gehen? Immerhin bin ich arbeitslos. Dieser Paul würde einem nicht einmal den Dampf von seiner eigenen Pisse abgeben«, sagte sie und setzte sich auf mein Bett.
    »Aber bist du nicht gestern Abend mit ihnen aus gewesen und hast dich komplett vollaufen lassen?«, fragte ich überrascht. »Margaret sagte, du hättest den ganzen Abend einen doppelten Whiskey nach dem anderen getrunken und
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