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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel
Autoren: Stuart Neville
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die Männer ins Nebenzimmer mit, während Arturas und Tomas mit ihrer Mutter am Tisch aßen.
    Drei Monate später zogen sie in eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern. Die Brüder hatten gehofft, es würde bedeuten, dass sie jetzt ein eigenes Zimmer bekamen, doch stattdessen konnten nun zwei Mädchen gleichzeitig Besucher empfangen. Dafür gab es so ausreichend Geld, dass Tomas auf eine gute Schule und sein älterer Bruder auf die Universität gehen konnte.
    Als Student nahm Arturas sich eine eigene Wohnung. Unter der Anleitung seiner Mutter stellte auch er ein Zimmer für die Tröstung einsamer Männer zur Verfügung. Er stellte fest, dass es ihm gefiel, Geld in der Tasche zu haben und anständige Kleidung tragen zu können. Die anderen Studenten waren neidisch, als er sich einen Wagen anschaffte, wenn auch einen gebrauchten.
    Dann passierte die Geschichte mit Tomas und einem Lehrer seiner Schule, und sie mussten nach Wilna ziehen.
    Laima hatte ihren jüngeren Sohn immer verwöhnt, ganz gleich, was für ein Narr er war. Für jeden sanften Kuss auf Tomas’ Wange, so schien es, bekam Arturas eine satte Ohrfeige. Doch selbst jetzt, im Rückblick, hasste er sie nicht dafür. Schließlich hatte sie ihm beigebracht, wie man mit der Schwachheit anderer Leute gutes Geld verdienen konnte.
    Arturas Strazdas stand auf, durchquerte das Zimmer und trat an das elegante, mit einer Glasscheibe bedeckte Sideboard heran. Herkus hatte dort ein kleines Päckchen hinterlassen, einen Zellophanbeutel mit etwas weißem Puder. Guter Stoff, hatte Herkus gesagt, direkt von der Quelle. Aber vorsichtig damit, hatte er gesagt.Vielleicht ruhst du dich erst mal ein bisschen aus, bevor du was davon nimmst.
    Strazdas öffnete den Verschluss des Beutels und schüttete ein wenig davon auf die Scheibe. Mit der Schlüsselkarte des Hotels teilte er das Puder und schob es zu drei Lines zusammen. Er zog einen Fünfzig-Euro-Schein aus der Tasche, rollte ihn zu einem Röhrchen zusammen, steckte ein Ende in sein linkes Nasenloch und inhalierte.
    Plötzlich wurde alles glasklar.
    Beim Ausatmen zitterte er, dann steckte er den Schein ins andere Nasenloch und inhalierte die zweite Line.
    Ihm wurde schwindelig.
    Strazdas steckte den Schein wieder ins linke Nasenloch und sog auch die dritte Line ein. Er warf den Schein weg, beugte sich vor und lutschte das restliche Puder von der Scheibe. Während seine Zunge, vom Kokain prickelnd, über die glänzende Oberfläche leckte, öffnete er die Augen und sah in deren Spiegelbild. Dann richtete er sich auf und starrte sich einen Moment lang an.
    »Scheißkerl«, sagte er.
    Sein Verstand war messerscharf, sein Herz schlug schneller, und die Luft war süßer als vorher. Er grinste das bestäubte Gesicht in der Glasscheibe an. Sein Telefon klingelte, und irgendwo in seinem Kopf erschien es ihm, als habe er den bevorstehenden Anruf vielleicht schon ein paar Sekunden vor dem Klingeln erahnt. Manche taten so etwas vielleicht als Unsinn ab, aber Arturas Strazdas war kein gewöhnlicher Mann. Er war ein großer Mann. Er konnte alles schaffen.
    Oder vielleicht redete ihm auch nur das Koks das ein.
    Strazdas schniefte laut und wischte sich die Nase ab, erst dann ging er zurück zum Schreibtisch und griff nach seinem Handy. Als er den Namen auf dem Display sah, verzagte er kurz.
    »Ja, Mutter«, sagte er.
    »Du hast nicht angerufen«, schimpfte sie, ihre Stimme so rau wie zerbrochener Schiefer. »Du hast gesagt, du meldest dich, wenn du landest, und dann hast du es nicht gemacht. Warum nicht?«
    »Ich hatte zu tun«, sagte Strazdas.
    »Aber nicht so viel, als dass du nicht deine Mutter anrufen und sie wissen lassen könntest, dass du heil angekommen bist.«
    »Nein.«
    »Und wie geht es Tomas?«, fragte sie.
    Strazdas schloss die Augen. »Warum bist du so spät noch auf ? Es ist mitten in der Nacht. Du solltest längst schlafen.«
    »Du auch«, erwiderte sie. »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie geht es Tomas? Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er in diese schreckliche Stadt gezogen ist.«
    Strazdas hatte seine Mutter noch nie belügen können. »Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen«, sagte er.
    »Warum nicht?« Sie versuchte erst gar nicht, die Besorgnis in ihrer Stimme zu verbergen. »Hast du ihn angerufen?«
    Er holte tief Luft. »Ja. Er ist nicht drangegangen.«
    »Aber Tomas geht immer ans Telefon.«
    »Ich weiß.«
    »Selbst, wenn er bei einer seiner Frauen ist, geht er ans Telefon. Es hat Zeiten gegeben, wo ich mir
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