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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel
Autoren: Stuart Neville
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tätig registriert waren. Sie waren sämtlich als polnische, tschechische, litauische oder lettische Staatsbürger gelistet. Er verengte die Suchkriterien auf weibliche Personen, die in den letzten drei Wochen ihren Arbeitsplatz verlassen hatten.
    Ein Eintrag.
    Wie zu lesen war, handelte es sich um eine Litauerin mit dem Namen Niele Gimbutiené. Strazdas wusste, dass der Name falsch war. Er klickte auf den Link, um ihr komplettes Profil zu sehen. Es gab zwei Bilder, eines der Scan eines litauischen Passes, das zweiteein Porträt des Mädchens. Eine oberflächliche Überprüfung, wie sie ein müder Grenzbeamter vornahm, hätte womöglich ergeben, dass die Fotos übereinstimmten und dieses Mädchen tatsächlich litauische Staatsbürgerin war und als EU-Bewohnerin jedes Recht hatte, legal im Vereinigten Königreich zu leben und zu arbeiten.
    Wenn man sich aber die Augen, die hohen Wangenknochen und die Form des Mundes genauer ansah, konnte man den Verdacht haben, dass dieses Mädchen nicht das auf dem Passfoto abgebildete war. Und damit hätte man richtiggelegen.
    Die Angaben besagten, dass dieses Mädchen seine Arbeitsstelle auf einer Pilzfarm im Monaghan County erst vor gut einer Woche verlassen hatte und in keinerlei Verbindung mehr zur Agentur stand. Strazdas wusste, dass das streng genommen nicht unrichtig war, aber die Wirklichkeit war ein wenig brutaler. Wären die Angaben vollkommen korrekt gewesen, hätte hier stehen müssen, dass sie der Agentur von einer dritten Partei abgekauft worden war, mitsamt dem Pass, mit dem sie eingereist war. Vielleicht würde man den Pass ja benutzen, um noch eine hübsche junge Frau mit blonden Haaren, blauen Augen und slawischen Zügen einzuschleusen. Dieses Mädchen hier befand sich jedenfalls immer noch irgendwo in Belfast.
    Sein Bauchgefühl sagte Strazdas, dass Tomas in Schwierigkeiten steckte. Hatte dieses dünne Mädchen etwas damit zu tun? Er hatte keinen Grund, das zu vermuten, aber nach so vielen Jahren in diesem Geschäft hatte er gelernt, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
    Sein Handy klingelte. Er nahm es vom Schreibtisch, sah aufs Display und ging dran.
    »In der Wohnung meldet sich keiner«, sagte Herkus. »Von draußen sehe ich kein Licht. Ich glaube nicht, dass sie da sind. Ich würde ja einbrechen, aber die Wohnungen hier haben alle Panzertüren. Da bräuchte ich einen Rammbock, um reinzukommen.«
    »In Ordnung«, sagte Strazdas. »Sieh in allen Bars nach, in die Tomas und Darius trinken gehen. Wenn nötig, besorg dir mehr Leute. Ich will, dass sie noch heute Abend gefunden werden.«
    Strazdas legte auf, ohne Herkus’ Antwort abzuwarten. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Foto des Mädchens zu.
    »Was hast du mit meinem Bruder gemacht?«, fragte er.
    Als die Laute seiner eigenen Stimme im leeren Raum widerhallten, fingen seine Wangen zu glühen an. Er redete ja schon mit sich selbst! Erst heute Morgen hatte seine Mutter ihm einen Vortrag gehalten, er würde zu hart arbeiten, sich zu großem Stress aussetzen und nicht schlafen. Jeder Mensch sei psychisch nur begrenzt belastbar, selbst ein so starker Mann wie Arturas Strazdas.
    Strazdas hatte seiner Mutter nicht widersprochen. Niemand widersprach Laima Strazdiené.
    Sein Vater jedenfalls ganz bestimmt nicht. Als Teenager hatte Arturas in der Zwei-Zimmer-Wohnung, die die Familie in Kaunas bewohnte, Tomas gegenüber am Tisch gesessen, der Vater zwischen ihnen. Der vierte Stuhl blieb beim Essen oft leer. Sie sprachen miteinander, um das Gegrunze im Nebenzimmer zu übertönen, während ihre Mutter irgendeinen Freier bediente.
    Nachts teilten Arturas und Tomas sich im selben Zimmer das Klappbett, während ihre Eltern nebenan redeten. Oder besser gesagt, während ihre Mutter redete und ihr Vater zuhörte.
    Damit wir etwas zu essen haben, sagte sie dann. Damit wir es warm haben.
    Einmal hatte Strazdas sie nach den Besuchern gefragt, die zu allen möglichen Uhrzeiten kamen. Da hatte sie ihm heißen Kaffee in den Schoß geschüttet. Sein Vater hatte ihn in die Universitätsklinik gefahren und ihm geraten, er solle seine Fragen für sich behalten.
    Nicht lange, nachdem die Sowjets Litauen aus ihren Fängen gelassen hatten, verließ der Vater ihr Zuhause. Er sagte nichts, hinterließkeine Nachricht, er saß nur einfach nicht mehr mit am Tisch. Strazdas’ Mutter wollte nicht darüber reden, so als habe er nie existiert.
    Bald waren die Besucher nicht mehr nur Männer. Oft waren junge Frauen da, und die nahmen
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