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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition)
Autoren: Marie Anhofer
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richtig wütend erlebt hatte. Es trat ein, was ich befürchtete. Bereits am darauf folgenden Tag hatten Patrick und ich deshalb Riesenstreit. Er brauchte mich erst gar nicht zu fragen, wo ich war, denn das dachte er sich ohnehin. Er war bitter enttäuscht und richtig wütend auf mich, dass gerade ich, diejenige, die es bei anderen immer aufs Schärfste verurteilte, die Kinder unbeaufsichtigt zurückgelassen hatte. An diesem Tag gab mir Patrick klar und deutlich zu verstehen, dass er nicht mehr willig wäre, mich weiterhin mit meinem Vater zu teilen und sollte sich nicht bald etwas ändern, er die Konsequenzen daraus ziehen würde. Wenn ich meine eigene Familie nicht verlieren wollte, musste ich handeln. Ich legte den Kontakt zu meinem Vater auf Eis, indem ich ihm erklärte, dass ich in nächster Zeit viel um die Ohren und kaum Zeit hätte, ihn zu besuchen.
    Es verging kaum ein Tag, an dem mich mein Vater nicht anrief, mir Vorhaltungen machte, was ich für eine schlechte Tochter wäre, in dem ich mich nicht um sein Wohlergehen bemühen würde. Er habe sein Leben lang hart gearbeitet und er habe beinahe sein gesamtes Einkommen uns Kinder wegen an die Behörde abgeben müssen. Es wäre doch nicht zu viel verlangt, wenn ich ihm gegenüber nun ein wenig mehr Dankbarkeit zeigen würde, fügte er bei jedem seiner Anrufe hinzu.
    Wochen vergingen, seit meinem letzten Besuch bei meinem Vater. Ich hatte Angst, dass ich ihn eines Tages abermals verlieren könnte und deshalb fuhr ich ihn spontan eines Nachmittags wieder besuchen. Er empfing mich nicht gerade freundlich. Er war während meines Aufenthalts sehr abweisend und beleidigend. Fortlaufend kamen Vorwürfe, dass ich selbstsüchtig wäre und mich einen Teufel um sein Wohlergehen bemühen würde. Hannelore stellte sich auf meine Seite und versuchte meinem Vater in einem ruhigen Ton klarzumachen, dass ich meine eigene Familie hätte und er nicht das Recht hätte, Besitzansprüche zu stellen.
    Ich zuckte vor Schreck zusammen, als er sie daraufhin so laut anschrie, dass man ihn vermutlich bis auf die Straße runter hören konnte. Er fuchtelte mit seinem Zeigefinger vor ihrem Gesicht herum und schrie sie an, dass sie das nichts angehen würde, und sollte sie sich noch einmal anmaßen, mich in Schutz zu nehmen, könne sie ihre Sachen packen und verschwinden. Ich ging dazwischen, denn aus seinem Gesicht sprach derartig viel Zorn, dass ich befürchtete, er könnte ihr gegenüber handgreiflich werden. Ich versuchte die Situation mit ruhigen Worten zu entschärfen. Meine Worte kamen bei ihm nicht an. Er wandte sich von Hannelore ab und mir zu. Was ich nicht erwartet hatte, dass er die Attacken bei mir fortsetzte. Auf mich mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht schrie er mich mit derselben Lautstärke an wie zuvor schon Hannelore.
    »Deine Mutter war eine Hure. Ich wollte nie Kinder und jetzt will ich auch keine. Du bist nicht willens, für mich da zu sein, wenn ich dich brauche und jetzt bin ich nicht willens, dich hier in meinem Haus noch länger zu dulden.«
    Ich schluckte. Dieser Stich in meine Seele war so dermaßen schmerzvoll, dass sich meine Augen binnen Sekunden mit Tränenflüssigkeit füllten. Ich war derartig erschüttert über seine Meldung, dass ich nicht ein einziges Wort mehr aus mir herausbrachte. Stattdessen stand ich wie versteinert da und schluckte – immer wieder.
    Alles, was ich danach noch tat, war, mich von Hannelore zu verabschieden. Ich umarmte sie und bedankte mich für ihre stets liebevolle Gastfreundschaft. Ohne meinem Vater noch eines Blickes zu würdigen, verließ ich das Haus. Das war der letzte Besuch. Nie habe ich mehr von ihm etwas gehört oder gesehen. Patrick, der allzeit seine Skepsis gegenüber meinem Vater kundtat, fing mich auf und half mir über den Schmerz hinweg.

    Um das zu Ende zu bringen, was ich begonnen hatte, suchte ich einige Monate später noch meine Mutter auf. Sie wohnte in einem alten Hochhaus im Zentrum von Graz. Die Adresse bekam ich seinerzeit von meinem Onkel. Diesmal machte ich mich allein auf den Weg.
    Ich stand an diesem Hochhaus und betätigte die Klingel, an dem der Name meiner Mutter stand. Durch die Sprechanlage ertönte eine Frauenstimme. Ich fragte sie, ob sie die Frau wäre, die ich suchte.
    Sie bejahte meine Frage, und während sie auf den Türöffner drückte, sagte sie: »Dritter Stock.«
    Ich ging ins Haus, und während ich langsam die Stufen hinaufging, probte ich noch einmal meine Begrüßungsrede und
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