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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition)
Autoren: Marie Anhofer
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mir nicht sagen, wahrscheinlich, um mich nicht zu beunruhigen. Sie lobt mich und sagt mir, dass ich mich tapfer schlage. Es wird alles gut, sagt sie nochmals. Einen kurzen Moment bleibt sie noch an meinem Bett und streichelt mir ein paar Mal über meinen Handrücken. Sie ist so lieb zu mir, dass ich anfange zu weinen. Ich soll nicht weinen, wie sie sagt, denn ich brauche noch all meine Kräfte, um wieder gesund werden zu können. Ja, sie hat recht. Ich versuche mich zu beruhigen, denn ich weiß, dass ich noch einen langen, steinigen Weg vor mir habe.

Einleitung

    Ein kleiner Ort, etwa fünfzehn Kilometer von der Landes-und einstigen Kulturhauptstadt Graz entfernt. Dieser Ort, ein Teil des bekannten Schöckllands mit zahlreichen Radwegen und Mountainbikestrecken. Kilometerlange Wandertouren ziehen sich durch herrliche Wälder und saftige Wiesen. Eine Ortschaft mit schmucken Einfamilienhäusern, eingebettet in eine herrliche Waldlandschaft. Eine Idylle, bei der es beinahe unmöglich schien, dass sich hinter verschlossenen Türen Grausames abspielen könnte. Mit meiner Kindheit habe ich mein ganz persönliches Vietnam überlebt. Über Jahre hinweg dachte ich, dass ich durch das Verdrängen meiner Kindheit alles ungeschehen machen könnte. Ich flüchtete mich zum Teil in eine Welt, in der ich dachte, von meiner Vergangenheit gut abgeschottet zu sein und in der ich mich allzeit sicher fühlen könnte. Doch eines Tages holte sie mich gnadenlos ein. Ein Augenblick, den ich wohl nie wieder in meinem Leben vergessen werde. Ich war Anfang zwanzig, als ich an einem warmen Sommernachmittag durch eine Fußgängerzone spazierte. Mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand schlenderte ich dabei von einem Schaufenster zum nächsten. Ich war am Ende der Fußgängerzone angelangt, als ich an einer Auslage stehen blieb und mich dort neben eine Frau stellte, um die ausgestellten Kleider zu betrachten. In meinen Gedanken zunächst vertieft, bemerkte ich irgendwann, dass jemand dicht hinter mir stand und mir über die Schulter blickte. Ich schielte über meine rechte Schulter und sah in die Augen einer Frau. Ich erstarrte zu Salzsäure. Ich wollte weglaufen, aber ich war vor Angst wie gelämt. Mein Herz begann wie wild zu schlagen, meine Hände begannen zu zittern und mir war augenblicklich, als hätte ich keinen Boden mehr unter den Füßen. Der Pappbecher Kaffee, noch halb voll, glitt mir aus der Hand, fiel auf den Boden, unmittelbar vor meine Füße. Ich spürte, wie mir die braune Suppe über meine Zehen lief. Mir schwirrte der Kopf. Ich versuchte normal zu atmen und mich zu besinnen, dass das nicht die Frau war, die für die schlimmsten Jahre meines Lebens verantwortlich war. Aus Angst, dass mich diese Frau von hinten angreifen und mein Leben in Gefahr bringen könnte, lief ich letztendlich weg wie ein Sprinter bei einem Wettbewerb, nur, dass ich nicht um eine Medaille lief, sondern um mein Leben. Ich rannte so schnell, als hätte ich gerade einen gesuchten Serienmörder hinter mich stehen gehabt. Die Frau musste sich wohl denken, ich sei vollkommen geistesgestört. Erschöpft und total außer Atem verschnaufte ich nach einiger Zeit in einer kleinen Seitengasse. Nachdem ich noch einige Male um die Ecke schielte, um sicherzugehen, dass sie mir nicht gefolgt war, machte ich mich schließlich auf den Heimweg. Angst und Panik folgten mir auf Schritt und Tritt und ich fühlte mich dabei, als müsste ich mich jeden Moment übergeben. Dieser Augenblick war der Anfang eines verdrängten Endes. Den Weg, den ich nun vor mir hatte, der sollte mindestens so steinig werden, als der, den ich bereits hinter mich gebracht hatte.
    Ich habe dieses Buch in völliger Dunkelheit geschrieben. Spätabends, wenn es still um mich wurde und nach und nach all die Lichter ausgingen, setzte ich mich an meinen Computer und schrieb. Das einzige Licht, das ich während des Schreibens hatte, war das meines Computers und selbst dieses senkte ich auf ein Minimum, sodass ich gerade noch mein Geschriebenes lesen konnte. Mit meinen Bemühungen, auch bei Tageslicht zu schreiben, scheiterte ich. Es war fast so, als hätten sich meine Erinnerungen bei Tageslicht verflüchtigt. Nachts jedoch kamen sie in geballter Ladung. Es kostete mich Unendliches an Kraft, meine Erlebnisse hier in Zeilen wiedergeben zu können. Die Erinnerungen und die damit verbundenen Schmerzen waren dermaßen massiv, dass ich phasenweise in ein tiefes schwarzes Loch fiel, in dem ich drohte, von Angst und
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