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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition)
Autoren: Marie Anhofer
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Prinzessinnenstatus genossen, fristete ich mein Dasein als ungeliebtes Mädchen. Die beiden, die mit liebevollen Streicheleinheiten und Umarmungen überschüttet wurden. Wollte ich mir diese Streicheleinheiten holen, stieß man mich unliebsam zur Seite und verwies mich wie einen Hund auf meinen Platz. Mein Platz war der Fußboden in einer Ecke in der Küche. Dort saß ich so lange, bis ich die Erlaubnis hatte, wieder aufzustehen. Die einzige Möglichkeit an Körpernähe zu kommen, bot sich mir in weiterer Folge nur, wenn ich mich zum Schuppenputzen anbot. Ich ließ keine Gelegenheit ungenützt, um zu fragen, ob ich nicht mit dem Kamm deren Schuppen von den Haaren putzen dürfte. Obwohl es mir davor so sehr grauste, in die oftmals fettigen Haare der beiden zu greifen, tat ich es und kostete dabei jede einzelne Sekunde voll aus. Die Körperwärme, die ich dabei spürte, tat mir einfach nur gut. Sofern es mir erlaubt war, sie auch außerhalb des Kopfes zu berühren, fuhr ich im Zeitlupentempo mit meiner Hand mehrmals über den Rücken. Ich tat so als würde ich alibihalber die Schuppen von dem T-Shirt oder dem Pulli entfernen. In Wahrheit tat ich aber nichts anderes, als Körperwärme aufzusaugen.
    Friederike und Sybille besaßen die tollsten Spielsachen, die schönsten Fahrräder und stets die angesagteste Kleidung. Ich hatte weder schöne Kleider noch besaß ich Spielsachen. Ich bekam das, was von den beiden ausgemustert und nicht mehr gebraucht wurde. Griff ich einmal nach den Spielsachen der beiden, riss man mir diese lieblos aus der Hand. Kaum schrie eine von beiden nach neuen Klamotten, dauerte es nicht lange, bis meine Pflegeeltern mit ihnen einkaufen fuhren. Während ich auf dem Rücksitz des Autos wartete, shoppten sie mit ihren Kindern von Geschäft zu Geschäft. Ich hatte die Wahl, mitzugehen oder im Auto sitzen zu bleiben. Ich entschied mich irgendwann für Letzteres, da ich mich den Gemeinheiten von Friederike und Sybille nicht länger aussetzen wollte, denn sah ich im Geschäft ein T-Shirt, das mir gefiel, machten sich die beiden ungeniert vor allen Leuten über mich lustig, dass das schöne Shirt für ein hässliches Mädchen viel zu schade wäre. Voll bepackt kamen sie aus den Geschäften und während der Fahrt nach Hause diskutierten die beiden, welches Kleidungsstück sie am nächsten Schultag zuerst tragen würden. Die beiden durften sich täglich frisch gewaschene Kleidung aus dem Schrank nehmen, während ich meine wöchentlich vorgelegt bekam. Von Montag bis Sonntag trug ich dasselbe – Unterwäsche war davon nicht ausgenommen. Kaum zu Hause angekommen kleideten sich die beiden mit ihren neuen Sachen ein und betrachteten sich von allen Seiten vor dem Spiegel. Stolz gingen sie an mir vorüber und warfen mir gehässige Blicke zu. Ich bekam indes die Kleidungsstücke, die den beiden nicht mehr gefielen oder auch Kleidung von anderen Leuten, bevor man diese in der Altkleidersammlung entsorgte. Egal, ob sie mir gefielen oder nicht. Egal, ob diese ausgewaschen und dadurch unansehnlich waren oder nicht und völlig egal, ob ich mit diesen gehänselt wurde oder nicht – ich musste sie tragen. Das Privileg, Wünsche zu äußern hatten Friederike und Sybille – ich nicht. Nicht einmal an meinem Geburtstag oder zu Weihnachten. Klar, dass Friederike und Sybille ihre Wünsche auch zu Weihnachten äußern durften und daher war es auch keine Überraschung, dass unter dem Baum auch genau jenes lag, was sie sich gewünscht hatten. Ich bekam zu Weihnachten genauso wenig wie unter dem Jahr. Keine Spielsachen, kein Geschenk, das mir Freude bereitete. Am Heiligabend, bei der Bescherung, saßen alle im Wohnzimmer auf dem Sofa. Alle, das waren meine Pflegeeltern, Friederike, Sybille und die Mutter meines Pflegevaters. Nicht nur Friederike und Sybille nannten sie Oma, sondern auch ich durfte sie so nennen.
    Meine Pflegemutter mochte ihre Schwiegermutter nicht, unter anderem auch deshalb, weil sie für mich mehr Geld ausgab, als für Friederike und Sybille. Immer wieder gab es deshalb Streit zwischen den beiden. Meine Oma war auch die Einzige, die mich nach meinem Wünschen fragte. Ich wusste, dass sie eine sehr kleine Pension hatte und sie sich keine großen Sprünge erlauben konnte. Trotz alledem versuchte sie, mir so viel wie möglich zukommen zu lassen, damit sie das Ungleichgewicht etwas ausgleichen konnte. Auf dem Sofa wäre auch für mich genug Platz gewesen, aber ich musste auf dem Boden sitzen. Wenn mich meine
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