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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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zerstört!«
    »Ich habe die Menschen aus der ewigen Kindheit geführt. Jetzt können sie Erwachsene sein und mit ungetrübtem Blick die Welt sehen.«
    »Sie können sehen, wie scheußlich sie ist!«
    »Das ist sie nicht«, sagte Jagu leise. »Wer richtig hinsieht, mit weisen Augen, entdeckt eine Schönheit, die sich kein Kinderauge erträumen könnte. Niemand braucht einen Retter, Holypta. Die Menschen müssen an nichts Höheres glauben. Wenn sie an sich selbst glauben können. Und aneinander.« Er machte einen Schritt auf sie zu. Streckte die Hände aus, doch er wagte nicht, sie anzufassen, als könne sie zerfallen, sobald er sich ihrer Echtheit versichern wollte. »Du hast mich einst von den tröstenden Lügen befreit. Du hast angefangen. Als ich mich in dir wiedererkannt habe, war ich allein, mit nichts als einem Spiegelbild. Wenn du mir das Höhere nimmst, dann gib mir wenigstens das Ebenbürtige. Ich will nicht die Drachen... ich will dich.«
    Mit einem heiseren Laut schmiegte sie die Wange in seine Hand.
    »Sie haben den Palast gestürmt«, wimmerte sie. »Alle Tiere sind aus den Gehegen gejagt worden. Lyrian... ist verschwunden. Ich weiß nicht, ob die Rebellen oder die Drachen ihn haben! Du hast ihn umgebracht!« Sie schlug ihm gegen die Brust und fiel ihm in die Arme. »Du hast ihn ermordet... du bist nicht besser als dein Vater, du Mörder!«
    Er packte ihre Arme so fest, dass sie ächzte. »Dann haben wir beide die Verbrechen unserer Familien wiederholt. Wenigstens bleibt Lyrian dasselbe Schicksal erspart. Jetzt hat das ganze Elend ein Ende.«
    Lange sah sie ihm in die Augen. »Ich bin gekommen, um dich zu töten, Arahil«, flüsterte sie.
    Jagu nickte. Sie presste die Augen zu und legte den Kopf an seine Schulter. Bebend klammerten sie sich aneinander und waren dabei so untrennbar und einsam wie eine Person, die sich selbst umschlingt. Die bleichen Hände an Jagus Rücken verwandelten sich in schwarze Pranken... die Krallen gruben sich durch sein Wams. Mions Herz trommelte gegen ihren Hals, während sie wie erstarrt in den Schatten der Vorhänge stand.
    Holypta stieß ein schmerzvolles Stöhnen aus, und dann waren die Pranken verschwunden, sie war wieder ein Mensch. Hatte sie ihre Korpusse in diesem Augenblick verloren? Oder brachte sie es nicht über sich, ihn umzubringen?
    »Gut«, schniefte Jagu und legte die Hände um ihren Nacken. »Alles gut. Das ist ein gutes Ende.«
    Er sank auf den Boden, sie auf seinen Schoß, und sie hielten sich im nebelhaften Frieden des Augenblicks. Mion begriff, dass das Glück selbst zwischen Verzweiflung und Tod erscheinen konnte, aller Vernunft zum Trotz - dass es vielleicht das einzig echte Glück überhaupt war.
    Die Kerzen brannten nieder. Ein Licht ums andere erlosch, während sie ihre Tränen weinten. Schließlich verstummte Jagu. Schlaff lag er in Holyptas Armen, bis sie seinen Kopf hob. Er war bleich wie Wachs. Erstarrt tastete Holypta nach seinem Arm, blickte hinab und schluchzte.
    Jagu streichelte ihr Haar und flüsterte ihr Dinge zu, die Mion nicht hörte. Holypta sah ihm in die Augen. Dann beugte sie sich zu seinem Arm hinunter und schien das Gesicht in seiner Hand zu vergraben. Als sie sich erhob, seufzte Jagu tief. Neben Faunias leblosem Körper sank er zu Boden und schloss die Augen. Holypta glitt zurück wie ein Schatten, den Handrücken vor den Mund gepresst. Dann ging sie rückwärts um den Kreidekreis, in dem er lag.
    Mion beobachtete die Kaiserin, und doch weigerte sich ihr Verstand, die Dinge zu erfassen.
    Nach dreiundzwanzig Schritten sank sie über Jagu zusammen und küsste seine geschlossenen Augen.
    »Ich liebe dich.« Sie zog den Ritusdolch aus seiner rechten Hand, den Mion gar nicht bemerkt hatte - und das dunkle Blut daran hatte sie auch nicht bemerkt -, und Holypta stach sich in den Ringfinger und streichelte Jagu über die Wange, dass ihr Blut in seinem Haar versickerte.
    Endlich fand Mion die Kraft, sich zu bewegen. Sie taumelte vor, ohne Boden unter ihren Füßen zu spüren. Alles sank fort.
    Holypta stieß ein zittriges Keuchen aus, dann verdrehte sie die Augen und brach über ihm zusammen. Einmal, zweimal zog sie scharf die Luft ein. Dann atmete sie nicht mehr.
    Im Kreidekreis lagen Faunia, Jagu und Holypta wie Schläfer, die im Jenseits schweben. Nur dass sie nicht zurückkehren würden.
    Über Jagus linken Unterarm zog sich ein langer Schnitt. Der ganze Boden unter ihm war verdunkelt; er musste sich die Pulsader aufgeschnitten haben.
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