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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Der Wind trug den Rauch aus den Ruinen heran und legte ihn wie einen bleiernen Nebel über die Stadt. Die Kämpfe hielten den ganzen Tag an. Bald würden die Drachen, Darauden und Sphinxe ihre Korpusse verlieren. Und wenn sie die Rebellen und Menschenstaaten bis dahin nicht besiegten …
    Mion war schlecht. Lyrian! Hoffentlich, hoffentlich hatte er Wynter verlassen. Sie hatte keinen Zweifel mehr daran, dass die Menschen den Palast stürmen und das Ritual verhindern würden. Die Drachen fielen diese Nacht.
    Vom Fenster aus sah sie, wie mächtige Ungeheuer von der Masse begraben wurden und verschwanden - zurück blieben furchtbar zugerichtete Menschenkörper. Bangend hielt sie Ausschau nach einem Fuchs, einer Schwalbe oder einem Otter, bis es Abend wurde und die Stadt sich erneut in Dunkelheit und Schneewogen hüllte.
    Dann, fast lautlos, öffnete sich die Tür, und eine Gestalt glitt in den zitternden Kerzenschein. Faunia stieß scharf die Luft aus - Mion erkannte die Frau und wich instinktiv weiter hinter die Fenstervorhänge.
    Sie sah älter aus als auf den Bildern. Die Falten zwischen ihren dichten Brauen und um ihren Mund waren Narben, die das Unglück über Jahre hinweg in ihr Gesicht gekratzt hatte. Doch ihre Augen, leuchtend wie Sonnen des Zorns, waren jung: Das Alter hatte ihnen keine Weisheit gegeben. Es waren Lyrians Augen, dachte Mion schaudernd, aber mit einer anderen Seele dahinter. Was bei ihm Wärme war, war hier gefährliche Hitze.
    Jagu trat um das Himmelbett herum und blieb vor Holypta stehen. Ihr prachtvolles schwarzes Kleid war am Saum versengt, Strähnen hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und hingen um das herzförmige Gesicht wie Spinnweben. Ihr Blick irrte zu Faunia, die geduckt hinter Jagu stand.
    »Bist du Faunia?« Mion hatte nie eine Stimme gehört, die so kalt und zugleich so voller Hass war.
    Faunia schluckte. »Ja, und Ihr -«
    Plötzlich war die Frau verschwunden. Ein schwarzer Panther stürzte sich auf Faunia und riss sie nieder.
    Mion stieß einen Schreckenslaut aus, doch er wurde von Jagus Aufschrei übertönt. Er versuchte, den Panther wegzustoßen, aber es war zu spät. Das Raubtier war schon fort; taumelnd wich die Kaiserin zurück. Blut troff aus ihrem Mund.
    Jagu sank neben Faunia und nahm sie behutsam in die Arme. Ihr Hals war eine offene Wunde. Leise rang sie nach Luft, doch vergebens. Sie starrte Jagu an. Wollte etwas sagen. Zitternd strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie lächelte über die Berührung, und ihr Blick erstrahlte, dass alle Schleier des Wahns zerfielen.
    Im nächsten Moment war das Leben aus ihr gewichen, leicht wie ein Atemhauch.
     
    Stockend legte Jagu sie auf den Boden. Er wischte ihr Kinn ab, streichelte ihre Wange. Mion sah, wie die Ader auf seiner Stirn erschien, doch seine Augen blieben eisig und trocken wie alter Schnee.
    Die Kaiserin spuckte Blut aus. Mit geballten Fäusten stand sie da und starrte Jagu an.
    »Du hast alles zerstört«, hauchte sie. Ihre Stimme bebte vor Tränen. »Lyrian... die Drachen wollten ihn töten, der Kaiser hat zugestimmt, wenn ich Lyrian nicht vor ihnen versteckt hätte - sie hätten ihn zerrissen wie einen gemeinen Verbrecher -« Sie brach ab, verschluckte sich und presste sich die Hand auf die Lippen.
    Ruhig erwiderte Jagu: »Ich habe die Wahrheit aufgedeckt. Dass sie die Drachen vernichtet, liegt nicht an mir.«
    Die Kaiserin stieß ein Fauchen aus, und für einen Augenblick glaubte Mion, dass sie sich in den Panther verwandeln und Jagu töten würde wie Faunia. »Menschen... die Wahrheit ! Ein Fluch ist es, der auf euch lastet - eure Sehnsucht nach Wahrheit! Als ob es so etwas überhaupt gäbe! Nichts ist das, nur ein Gedanke, nicht besser oder schlechter als jede Lüge!«
    Langsam erhob Jagu sich und blickte ihr in die Augen. »Es ist keine Lüge, dass Drachen Menschen sind. Du kannst die Wahrheit nicht als Erfindung abtun.«
    »Und was nützt sie dir, die Wahrheit?!«, schrie sie. Ihr Körper bebte in dem großen Kleid, der Stoff raschelte mit jedem Atemzug. »Wie das Licht die Motten zieht die Wahrheit euch an, wie sie werft ihr euch dem Elend in die Arme … Dabei ist gerade das, was ihr am nötigsten habt, ein Traum, an den ihr glauben könnt: etwas Höheres, das nicht wie ihr in Dreck geboren und in Dreck enden wird. Einen Traum haben die Drachen euch gegeben. Hoffnung in der nackten Hässlichkeit der Welt. Jetzt hast du die Hoffnung gegen die Wahrheit eingetauscht. Geht es irgendwem besser? Du hast alles
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