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Quintessenzen

Quintessenzen

Titel: Quintessenzen
Autoren: Sven Böttcher
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Jahrhunderte wieder spurlos in die Natur zurück integrieren. Aber sobald wir diesen Gedanken zulassen, fühlen sich die meisten von uns natürlich noch kleiner als unsere Vorfahren damals, als Kopernikus den Kosmos über unseren Köpfen zurechtrückte (indem er entgegen jedem Augenschein darauf bestand, die Sonne bewege sich nicht, dafür aber die Erde).
    Rom ist untergegangen, und obwohl das noch nicht lange her ist, haben wir das Imperium schon fast vergessen. Die Bibliothek von Alexandria verloren und mit ihr fast alles Wissen über die lächerlichen paar tausend Jahre vor Christus. Was den relevanten Rest der Zeit betrifft, also die etwa 995 000 Jahre, die unsere Vorfahren mit ähnlichen Gehirnen wie unseren (aber angeblich ohne iPad) auf diesem Planeten verbrachten, wissen wir – nichts. Wir entnehmen allerdings den Mythen von allen Ufern der größeren Gewässer (vergleiche bei Bedarf die Edda, das Popul Vuh, die Offenbarung und diverse andere), dass die Untergänge dramatisch waren und Kulturen vernichteten, die unserer um einiges voraus waren. Was bedauerlich ist, aber auch zukünftig unvermeidlich bleibt, denn wir sind, wenngleich zahlreich, kosmische Flöhe. Schüttelt sich die Erde, zerfallen unsere Städte zu Staub, und wirft der Kosmos mit Kieselsteinen, bleibt von den Flöhen nicht mal eine Erinnerung.
    Gleich wie: Da jedes Atom in dir bereits Teil diverser Sterne war und erst recht Teil von unzähligen Lebewesen, Mozart eingeschlossen, kann nichts von dir »sterben« (allenfalls kann es richtig Pech haben und in einem AKW brutal umgestaltet werden, aber totzukriegen ist es trotzdem nicht). Wir alle sind – immer – Reinkarnationen. Im Detail.
    Was uns das nützt? Alltäglich: nichts. Für’s Gemüt: hoffentlich viel. Du bist, betrachtest du dich vom richtigen Ort aus, ewig, du bist aufgehoben, und du hast derzeit großes Glück. Denn was uns derzeit unterscheidet von allem anderen, das uns umgibt, ist die Freiheit, uns Dinge vorzustellen (uns selbst inbegriffen) sowie dank dieser über jedes → Jetzt hinausweisenden Fähigkeit, größer zu sein als die Natur ( → Sei unatürlich ) und uns für etwas zu entscheiden, was sogar über unser Ich hinausweist.
    Alles andere können sogar Bäume. Oder die Lilien auf dem Felde.
    Aber uns frei entscheiden zu lieben, das können nur wir.
    Infinite Matrioschka (als Ruhekissen)
    Betrachte dich selbst. In einer deiner Rollen. Zum Beispiel in deiner Rolle als Mensch. Als Frau. Als Freundin. Als Mutter. Als Singer/Songwriterin, Schauspielerin, Greenpeace-Aktivistin. Als was auch immer. Wir alle sind – abhängig von unserer Sensibilität und unserer Ehrlichkeit uns selbst gegenüber – mehr oder weniger gut in der Lage, diesen Stand punkt des Beobachters unserer Selbst einzunehmen. Und die ses Selbst zu beschreiben.
    Die Frage lautet nun: Welches Selbst beurteilt das Verhalten beispielsweise der Singer/Songwriterin (nennen wir sie Lisa)? Die Frau Lisa? Gut. Und wer beurteilt das Verhalten der Mutter Lisa? Der Mensch Lisa. Gut. Und das des Menschen Lisa? Die Analytikerin Lisa. Auch gut. Alles in deinem Leben, jede Rolle, jede Facette, kannst du quasi von außen betrachten.
    Betrachte jetzt: die Analytikerin.
    Die Außenbetrachterin.
    Sie und ihr Urteil über den Menschen Lisa. Damit hast du eine neue Position eingenommen, nämlich wieder die einer Außenbetrachterin. Nennen wir sie die Meta-Analytikerin.
    Und nun betrachte diese.
    Kürzen wir hier ab: Es gibt immer wieder eine neue Matrioschka, eine weitere Puppe zum Drüberstülpen über die Puppe, eine nächste Betrachterin. Allerdings immer eine weitere, die sich deiner Betrachtung erfolgreich entzieht. Denn nimmst du eine neue Position außerhalb von dir ein, wirst du immer wieder zu einer neuen Betrachterin.
    Probier’s.
    Du kommst nicht ans Ziel: Die letzte, die dich betrachtet, kriegst du nicht zu fassen. Aber dass sie existiert, daran besteht kein Zweifel, denn sie betrachtet dich ja. Du kannst sogar formulieren, was sie sieht.
    Und du tust das wieder – als nächste Beobachterin.
    Wieso das ein Ruhekissen sein soll?
    Na ja … nur für den Fall, dass du irgendwann nicht nur dein temporäres Ich, sondern alles für endlich und ver gänglich hältst: Dieses Bewusstsein ist . Fraglos, wie du gerade im Experiment festgestellt hast.
    Und ebenso fraglos wirst du es nie zu fassen kriegen.
    Nennen wir es nicht Gott, denn der Begriff ist von zu vielen in absurder Weise verwendet worden; mir gefällt Spirit .
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