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Quintessenzen

Quintessenzen

Titel: Quintessenzen
Autoren: Sven Böttcher
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deinetwillen. Aber nicht vordergründig um deinetwillen, also damit dich jemand im Heim besucht und sich deine langweiligen Geschichten aus grauer Vorzeit anhört, sondern um deinetwillen insofern, als im Kreißsaal nicht nur ein Kind neugeboren wird, sondern auch dessen Produzenten, neugeboren als Eltern. Erst (und nur) dank der Geburt deines Kindes verlässt du endgültig dein Elternhaus. Und diese Chance solltest du dir nicht entgehen lassen.
    Was die Gebildeten vergessen haben, ist eine simple Wahrheit: → Das eine Glück im Sinn eines erfüllten Lebens basiert ganz wesentlich darauf, im Hier und → Jetzt einen Energiefluss um sich selbst herum zu schaffen, einen Fluss, der aber nicht im Hier und Jetzt entspringt und endet, sondern der aus der Vergangenheit in die Zukunft reicht. Glücklich wird daher nur, wer sich mit denen verbindet, die vor ihm waren, und mit denen, die nach ihm kommen. Und dies lässt sich nicht simulieren, indem man Geschichte studiert oder die Kinder von Freunden zu Weihnachten niedlich findet.
    Im Augenblick, da du dein erstes Kind in den Armen hältst, wirst du diesen Energiefluss spüren – du wirst überrascht feststellen, dass du urplötzlich neben deiner eigenen sechsundzwanzigjährigen Mutter stehst, und zwar nicht als das Baby, das du damals warst, sondern hier und jetzt, als ebenfalls frische Mutter, im gleichen Alter, im gleichen Augenblick. Du wirst erst in diesem Moment spüren und begreifen, und das mit überwältigender Klarheit, wer deine Mutter eigentlich ist. Du dachtest, du hättest sie gekannt? Weil du sie am allerlängsten von allen Menschen kennst?
    Du hast dich gründlich geirrt. Du hast bis hierher die meisten Menschen nicht gekannt.
    Die Reise, die du an diesem Tag antrittst, ist randvoll mit unschätzbaren Erkenntnissen, die du auf keine andere Weise gewinnen kannst. Du wirst zu einer Neubewertung des Lebens an sich kommen und gelegentlich von einer Ohnmacht in die nächste fallen, während du nicht nur deine Eltern ganz als Menschen erkennst, sondern auch dich – und viele deiner Urteile als halbgar, im Guten wie im Schlechten. Sofern du den Gewinn neuer Erkenntnisse als essenziell empfindest, wirst du einen Heidenspaß haben.
    Die Quintessenz ist simpel und kurz: Wenn du ein ganzer Mensch werden willst, hast du keine Wahl – in dem Fall führt an eigenen Kindern kein Weg vorbei; der intellektuelle Weg zur Erkenntnis ist hier, so lästig es ist, nicht gangbar.
    Ich will aber abschließend nicht verschweigen, dass es eine Ausnahme von der Regel gibt. Die Mozarts. Die hervorragenden Kindsköpfe, jene, die vom Himmel mit einem ganz besonderen Talent beschenkt sind und naturgemäß zwischen 20 und 50 Jahren auf dem Zenit ihres Schaffens. Diese KünstlerInnen, ForscherInnen, WeltverbessererInnen sollten durchaus, schon der Menschheit zuliebe, auf die wichtige Erfahrung des Kinderkriegens verzichten (sofern sie nicht gutes Personal oder einen Partner zu Hause sitzen haben, ob männlich oder weiblich, der sich zur Mutter berufen fühlt). Man kann nicht alles haben. Aber sei sicher, dass ich hier nicht von den normal hochbegabten Summa-cum-laude-StudentInnen rede, von denen es auf der Welt nur so wimmelt.
    Megaphonbauen für Seelen
    Ganz frische Kinder haben kein Ich. Das legen sie sich allerdings recht bald zu, denn wir sind – anders als Hunde, die ihr Leben lang ihr Spiegelbild interessiert begrüßen – als einzige Gattung in der Lage, ein Ich überhaupt zu denken. Das hat einiges für sich, aber es ist vor allem gefährlich. Und es ist deine Aufgabe als Mutter (assistiert vom Vater), auf dem Schlachtfeld Ego vs. Seele, das jeder Mensch für sich selbst ist ( → Die Ich-Arena ), für eine faire Ausgangssituation zu sorgen.
    Kleine Menschen kapieren nach einem Lebensjahr oder etwas später, dass das da im Spiegel kein anderes Wesen ist, sondern ihr eigenes Abbild. Und dann sagen sie’s sogar, etwas später, zum ersten Mal: »Ich.«
    Das gilt als schön und erfreulich und für uns Ausgewachsene als Rechtfertigung, entzückt die Hände vor dem eigenen Gesicht zusammenzuklatschen, aber die meisten von uns, die erziehen sollen, deuten diesen Augenblick völlig falsch – und verhalten sich dementsprechend völlig unangemessen.
    Vor dem Erwachen des »Ich« haben wir es mit einer Seele und einem Körper zu tun, die wir in Gestalt eines kleinen Menschen buchstäblich empfangen. Der Körper braucht Zeit zur Eingewöhnung und zum Aufbau allernötigster Funktionen in
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