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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver
Autoren: Neal Stephenson
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indem sie dem nämlichen Charles in Charing Cross im Jahre des Herrn 1749 den Kopf abschlugen.«
    »Cromwell«, sagt Ben.
    »Cromwell. Ja. Der hatte damit zu tun. Alsdann, Ben. Wir stehen schon geraume Weile an diesem Mühlbach. Mir wird kalt. Mein Pferd ist unruhig. Wir haben, wie ich schon sagte, festgestellt, an welcher Stelle deine Gelehrsamkeit der Unwissenheit Platz macht. Ich werde mich gern an meinen Teil unserer Vereinbarung halten – das heißt, dir einiges beibringen, sodass du, wenn du heute Abend nach Hause kommst, Josiah gegenüber behaupten kannst, du seist den ganzen Tag in der Schule gewesen. Obgleich ihm der Schulmeister vielleicht einen Bericht liefert, der dem deinen widerspricht. Ich verlange jedoch eine kleine Gegenleistung dafür.«
    »Nennt sie nur, Mr. Root.«
    »Ich bin nach Boston gekommen, um einen bestimmten Mann ausfindig zu machen, der nach letzten Berichten hier leben soll. Es ist ein alter Mann.«
    »Älter als Ihr?«
    »Nein, aber er wirkt vielleicht älter.«
    »Wie alt ist er denn?«
    »Er war dabei, als man König Charles I. den Kopf abschlug.«
    »Also mindestens vierundsechzig.«
    »Aha, wie ich sehe, hast du Addieren und Subtrahieren gelernt.«
    »Und Multiplizieren und Dividieren, Mr. Root.«
    »Dann beziehe Folgendes in deine Rechnung ein: Der, den ich suche, konnte die Enthauptung sehr gut mitverfolgen, weil er auf den Schultern seines Vaters saß.«
    »Kann damals also nicht mehr als ein paar Jahre alt gewesen sein. Oder sein Vater war wirklich stark.«
    »In gewisser Weise war er das tatsächlich«, sagt Enoch, »denn Erzbischof Laud hatte zwei Jahrzehnte zuvor in der Sternenkammer dafür gesorgt, dass man ihm Ohren und Nase abschnitt, und dennoch ließ er sich nicht einschüchtern, sondern setzte seine aufrührerischen Reden gegen den König fort. Gegen alle Könige.«
    »Er war ein Barker.« Auch diesmal zeigt sich bei dem Wort kein Anzeichen von Verachtung in Bens Gesicht. Verblüffend, wie sehr sich diese Stadt von London unterscheidet.
    »Aber um deine Frage zu beantworten, Ben: Drake war nicht besonders groß oder kräftig.«
    »Also war der Sohn auf seinen Schultern klein. Mittlerweile müsste er vielleicht achtundsechzig sein. Aber ich kenne hier keinen Mr. Drake.«
    »Drake war der Taufname des Vaters.«
    »Und wie, bitte schön, heißt die Familie?«
    »Das werde ich dir vorläufig nicht verraten«, sagt Enoch. Denn der Mann, den er ausfindig machen will, könnte bei den Menschen hier in sehr schlechtem Leumund stehen – könnte womöglich schon auf dem Boston Common gehenkt worden sein.
    »Wie kann ich Euch helfen, ihn zu finden, Sir, wenn Ihr mir seinen Namen nicht sagt?«
    »Indem du mich zur Fähre nach Charlestown führst«, sagt Enoch, »denn ich weiß, dass er seine Tage auf der Nordseite des Charles River zubringt.«
    »Folgt mir«, sagt Ben, »aber ich hoffe, Ihr habt Silber.«
    »O ja, Silber habe ich«, sagt Enoch.
     
    Sie umgehen einen Zipfel Land am Nordende der Stadt. Landungsstege, kleiner und älter als der große Kai, ragen ins Wasser. Steuerbords von Enoch verbinden sich Segel und Takelwerk, Spieren und Masten zu einem riesigen, unüberschaubaren Gewirr, wie es Buchstaben auf einer Seite für einen des Lesens unkundigen Bauern sein müssen. Enoch sieht weder van Hoek noch die Minerva. Er wird, so befürchtet er allmählich, in Schänken gehen und Nachforschungen anstellen müssen, wird Zeit aufwenden müssen und Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
    Ben führt ihn direkt zu dem Landungssteg, an dem, zum Ablegen bereit, die Fähre nach Charlestown liegt. Sie ist mit Zuschauern der Hinrichtung überfüllt, und Enoch muss dem Fergen mehr bezahlen, damit er das Pferd an Bord bringen darf. Er öffnet seine Börse und lugt hinein. In unterschiedlichem Maße abgegriffen, abgestoßen und lädiert, starrt ihm das in Silber geprägte Wappen des Königs von Spanien entgegen. Der Name wechselt, je nachdem, welcher König regierte, als die betreffende Münze geprägt wurde, aber dahinter steht auf allen D.G. HISPAN ET IND REX. Von Gottes Gnaden König von Spanien und der Indien. Die gleiche Prahlerei, die alle Könige auf ihre Münzen prägen.
    Diese Worte sind jedem gleichgültig – die meisten können sie ohnehin nicht lesen. Nicht gleichgültig aber ist, dass ein Mann, der in Boston im kalten Wind am Flussufer steht und auf einer von einem Engländer betriebenen Fähre übersetzen will, nicht mit den Münzen bezahlen kann, die Sir Isaac Newton in der
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