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Putla - Junge ohne Lachen

Putla - Junge ohne Lachen

Titel: Putla - Junge ohne Lachen
Autoren: Martin Frank
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dass Putla litt? Ich sah es, und ja, ein fröhlicher Putla wäre mir auch lieber gewesen, als dieser stumme, sich aufopfernde Sklave, der sich selbst so hasste, dass er sich absichtlich Kopf und Ellbogen überall anschlug - die Geige, selbst im Koffer, schlug er nie an. Ich sah, dass er krank war; doch fürchtete ich, dass ein Psychiater sich zwischen uns drängen, mein unvernünftiges Glück durch ein vernünftiges Unglück ersetzen würde. Ich überliess dem Arzt, Putla zu raten, einen Psychiater aufzusuchen; nun war Putla überzeugt, dass der Arzt ihn für verrückt hielt, gleich nicht normal, gleich minderwertig, und reagierte, indem er die Energie verdoppelte, mit der er sich mir und der Musik hingab.
    Er übte viel und seine abnorme Konzentration gab seinem Spiel einen verführerischen Glanz; der Lehrer liess ihn mit dem Schulorchester Ma Vlast spielen, oder das Schulorchester musste Putla begleiten, der Ma Vlast spielte; ich sass in der ersten Reihe: Der kleine Verrückte, der am Morgen in meinen Armen erwacht war, marschierte hölzern auf das Solistenpodest, verbeugte sich hölzern, ohne jemanden anzusehen, wartete regungslos auf seinen Einsatz und führte uns dann mit seiner Geige in ein anderes Land, Ma Vlast - mein Land, zwar dem dirigierenden Lehrer folgend, doch innerhalb des vorgegebenen Rahmens mit Rubati, Fortissimi und Pianissimi eine Sicht freigebend auf den Künstler, den er werden wollte. Zu Hause raffte er leichte Stellen, nun gestaltete er sie, und wo die Zuhörer ängstlich aufpassten, ob er es schaffen würde, triumphierte er mit virtuoser Leichtigkeit. Ich sass da und hörte zu, nicht mehr fürchtend, dass Putla etwas misslingen möchte, sondern tauchte mit ihm ein in die Musik, die er gestaltete, unwillkürlich glücklich grinsend, weil er mir gewissermassen aus dem Herzen heraus spielte. Ich hatte ihn unterschätzt und nur um seines jungen Körpers willen geliebt; während andere, der Lehrer, in ihm schon lange den Künstler sahen, war er für mich Putla geblieben, dessen schmalen Nacken ich nicht genug küssen konnte.
    Er endete und verneigte sich und stand dann wieder wie gelähmt neben mir, gesenkten geröteten Gesichts, krampfhaft bemüht, nichts zu sagen, was alles verdorben hätte. Beim Essen in der Pizzeria versuchte ich ihm zu erklären, dass er ein grossartiger Künstler werden würde, eigentlich schon sei. Er ass stumm und schnell; ich fragte ihn, ob er denn nicht zufrieden sein; er sagte (immer noch versuchend, sich zu beherrschen, mir die Freude nicht zu verderben), "das interessiert Dich doch nicht, nicht wirklich."
    Ich bedrängte ihn, bis er in einem zynisch-präzisen Aufwasch mir alle seine und - wo unvermeidbar - ein paar Fehler des Dirigenten und des Orchesters aufzählte, zu laut, zu leise, zu früh, zu spät, zu langsam, zu schnell, zu verhackt, "das hätte wie ein Tanz sein sollen, wo das dann hereinbricht, dann wieder der Fluss von ferne, das ist völlig auseinandergefallen, und nachher, wo es leise-laut, leise-laut, leise-laut sein sollte, ist es grauenhaft gewesen, alles falsch, ich habe mich so geniert für den Lehrer, mit diesem jämmerlichen Orchester, und mein Gestotter, wo doch alles von diesen langen Linien abhängt - es hat ihn sicher wahnsinnig aufgeregt."
    Seine Selbstkritik war vernichtend bis in jedes Detail, doch während er sich selbst zerfleischte, erkannte ich, dass er längst nicht mehr daran war, ein paar Seiten fehlerlos zu spielen, sondern die Komposition in all ihren Einzelheiten sah, als läge eine grosse Landschaft vor ihm, in die er nach Belieben hinein zoomen konnte, um sich einen Baum mit einzelnen Blättern anzuschauen.
    Während mich noch überraschte, Putla jeden Morgen in meinen Armen zu finden, hatte ich mich schon daran zu gewöhnen, ein bedeutungsloser höherer Beamter zu sein, der mit einem jungen Künstler zusammenlebt.
    Ich würde ihn noch halten können, solange Schule und finanzielle Abhängigkeit dauerten, doch dann würde für ihn der Erfolg, den ich ihm wünschte und gönnte, kommen und für mich das Alter.
    Sein Erfolg schien ihn nicht mehr zu beeindrucken als zur Zeit seines Filmes, noch immer war er stumm, gehemmt und verschlossen, doch grösser und stärker dank seinem Training. Er bot sich nicht mehr an, sondern gehörte mir mit einer soliden Treue und seine im Verborgenen wachsende Sicherheit äusserte sich in frechen Streichen, sobald er im Dunkeln in meinen Armen lag.
    Ich dachte an Ferien, doch mit Putla zu planen war
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