Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
übereinander. Im gleichen Moment traf ihn Felíms Faust in die Nieren und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Der Graf versetzte ihm einen Tritt seitlich gegen das Schienbein. Santino fiel rücklings gegen die Glasstatue des Mädchens. Die Haarlocken und die zarten Finger splitterten, er glaubte einen Seufzer zu hören, oder waren das die verfluchten Nebel, die seinen Geist betörten? Wie war es möglich, dass sie dem Grafen nichts taten? Denn der bewegte sich, als atmete er klare Luft.
    »Ihr hättet mir nicht folgen sollen, Magier!« Das schwarze Schwert fuhr auf ihn nieder und trennte den gläsernen Arm des Mädchens ab, nur einen Hauch von seinem Gesicht entfernt. Felíms Gesicht war ein Gemenge tanzender Schlieren. »Ich hätte dich besser da unten getötet.«
    »Ja, hättest du«, keuchte Santino und trieb einen Impuls aus Magie durch seinen Armreif, von der er nicht geglaubt hatte, dass sie in seinem erschöpften Geist noch übrig war.
    Der Schmerz, der sich ihm ins Handgelenk brannte, entlockte ihm einen Schrei. Doch auch Felím schrie, als die Wucht des Stoßes ihn von den Füßen riss und in die Glasscherben schleuderte, die rasiermesserscharf zu Füßen der Statue funkelten. Santino schaffte es, wieder auf die Beine zu kommen, doch der Graf erholte sich zur gleichen Zeit, warf sich nach vorn und umklammerte Santinos Knie. Gemeinsam stürzten sie, ineinander verkrallt.
    Santino prallte mit dem Hinterkopf auf eine Kante und spürte den Abgrund darunter. Er schmeckte Blut zwischen den Zähnen. Doch die Schmerzen hatten auch eine gute Seite. Sie rissen seinen Geist einmal mehr aus den Armen des Nebels und erinnerten ihn daran, dass er kämpfen musste, um am Leben zu bleiben. Felíms Hände krallten sich um seine Kehle wie Rabenklauen. Santino versuchte den Griff zu brechen, ließ schließlich Felíms Arm los und hämmerte dem Grafen die Faust ins Gesicht. Einmal, zweimal. Sekundenlang verschwamm alles in einem Chaos aus Brüllen und Blut. Ein drittes Mal schlug er zu und noch einmal und endlich lösten sich die Finger. Santino zog die Beine an und schmetterte sie Felím in den Leib. Der Untergrund bröckelte, sie drehten sich, sie hieben aufeinander ein. Dann fielen sie, und krachten in einen Wassertümpel, der ihren Aufprall dämpfte, obwohl er nicht sehr tief war. Santino spürte Felíms Finger in seinem Haar, sein Kopf wurde nach unten gezogen, unter Wasser. Panisch wand er sich, atmete Wasser, musste husten. Seine Fäuste grub er dem Grafen in die Seiten, dann aufwärts gegen die Kehle, wusste kaum mehr, wohin er schlug. Ein Grunzen belohnte seine Anstrengungen. Dann ließ der Druck plötzlich nach. Er kam hoch und konnte atmen. Sarrakhans Gnade, er bekam wieder Luft. Er packte Felím am silberbestickten Wams und schleuderte ihn gegen ein Stück Fels, das aus dem Wasser ragte. Viel war im grünlichen Dämmerschein nicht zu erkennen, doch Santino erfasste, dass diese tiefer gelegene Höhle klein war, vielleicht zehn Schritte im Quadrat, und dass die Wände mit lumineszierenden Blüten überwuchert waren, die auf und ab wogten wie ein lebendes Tier. Sein Kopf fühlte sich an, als wollte er jeden Moment explodieren. Felím regte sich. Er stand auf und packte den Grafen, zog ihn hoch und stieß ihn gegen die Wand. Ein Zischen brandete auf, als hätte er mitten in ein Schlangennest gestochen. Sarrakhans schwarzer Traum! Die Blüten schossen auf ihn zu wie Vipernköpfe, die Enden der Blätter waren Tentakel, mit winzigen Zähnchen besetzt.
    Felím stieß ein unmenschliches Gebrüll aus, als die Blüten seine Kehle umzüngelten und nach seinem Gesicht schnappten, als Flüssigkeit von den Kelchen spritzte und sich wie Säure in seine Haut brannte.
    Santino starrte die Blumen an und begriff nur mit Verzögerung, was er hier unten vor sich sah. Doch dann traf es ihn mit Wucht.
    »Flüster-Akelei!«, ächzte er.
    Hunderte von Blüten bedeckten die Wand. Tausende. Und alle vibrierten sie, giftgeschwollen, zu boshaften Räubern mutiert, wie die Scharlachblüten in Dämmer-Detroit. Hier unten war von den Glastraumnebeln kaum etwas zu spüren. Also waren nicht alle Katakomben mit den betäubenden Pflanzen bewachsen. Die giftigen Eindringlinge an den Wänden hatten sie vermutlich vertrieben. Auf dem Felsensims entlang der Wand, der aus dem Wasser herausragte, klebte eine schmierige Schicht. War das etwa Blut? Blut, mit dem Felím die Blumen fütterte? Mehr Details schälten sich aus dem Dunkel. Knochen im Schlamm.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher