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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Autoren: Doris Cramer
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verriegelten und zugewucherten Toreinfahrt und der Buntglasfenster in den oberen Stockwerken, die nicht mehr glänzten, sondern blind waren von Staub. Dennoch erweckte das Haus – ebenso wie seine Nachbarn – einen stolzen, machtvollen Eindruck. Im Vergleich dazu schienen die Häuser von Mogador und auch sein eigenes Haus in Santa Cruz geradezu bescheiden, überlegte Miguel.
    Hier also war Mirijam aufgewachsen. Er versuchte sich vorzustellen, wie es sich in einem solchen Haus wohl lebte. Mirijam hatte ihm von vertäfelten Wänden und geschnitzten Decken erzählt, von einer geschwungenen Treppe und Schränken voll funkelndem Kristall. Eines Tages, und mit Gottes Hilfe vielleicht sogar schon recht bald, würde er die Schlüssel zu diesem prachtvollen Gebäude in Händen halten und Mirijam übergeben.
    Hinter einem der Fenster im Erdgeschoss regte sich etwas. Gleich darauf öffnete sich ein Flügel der Haustür, und ein großer, dunkel gekleideter Mann trat heraus. Gesenkten Hauptes und mit hochgezogenen Schultern, als wolle er nicht erkannt werden, eilte er die wenigen Stufen hinab, bog um die nächste Ecke und verschwand alsbald in dem Gassengewirr, das zu den Kais führte. Sollte das der Advocat gewesen sein?
    Hinter einem Stapel morscher Holzkisten am Rande des Platzes sah er eine alte Frau stehen, den Blick ebenfalls unverwandt auf das van-de-Meulen-Haus gerichtet. Sie war einfach gekleidet und stützte sich auf einen Gehstock.
    » Gott zum Gruße, gute Frau«, sagte Miguel und trat näher. » Ich bin fremd in der Stadt und bitte Euch um eine Auskunft. Sagt mir doch, wer war der Mann, der soeben aus jenem Hause dort trat?«
    Ihr schmaler Mund wurde zum Strich, und die Schatten um ihre Augen verdunkelten sich. » Das? Der Advocat, wer sonst?« Man sah ihr an, dass sie am liebsten vor Verachtung ausgespuckt hätte. » Ihr tut doch nur so, als kennt Ihr ihn nicht! Weil jetzt endlich die Wahrheit ans Licht kommt, oder? Ihr macht doch gewiss ebenfalls Eure gotteslästerlichen Geschäfte mit ihm. Gesindel, alle miteinander!« Die alte Frau fixierte ihn mit strengem Blick.
    » Ihr irrt Euch.« Miguel lächelte gewinnend und trat einen Schritt näher. » Ich mache keine Geschäfte mit einem wie ihm.« Er deutete mit dem Kopf zum Haus hinüber. » Mein Name ist Kapitän de Alvaréz, und ich bin zum ersten Mal in Antwerpen. Und was meint Ihr mit ›Wahrheit ans Licht kommen‹? Der Wahrheit bin ich ebenfalls auf der Spur. Aber sagt mir doch, was wisst denn Ihr davon?«
    » Arme Leute haben nichts zu verlieren, sie halten zusammen und helfen einander. Uneigennützig, versteht Ihr? Wenn wir unser Wort geben, dann halten wir uns auch daran und lassen niemanden elendig verrecken. Aber so etwas ist bei Euch Reichen wohl nicht üblich.«
    Bei dieser Rede fühlte sich Miguel auf einmal wie ein gescholtenes Kind, unterdrückte aber den Impuls, sich vor der Alten zu rechtfertigen.
    » Ja, kennt Ihr denn Joost Medern und habt von seinem Schicksal gehört? Er kam an Bord meines Schiffes zurück nach Antwerpen.« Ein phantastischer Gedanke tauchte plötzlich in ihm auf. » Steht Ihr häufiger vor diesem schönen Haus?«
    Die Alte antwortete nicht, doch sie schaute nicht mehr ganz so grimmig wie noch vor einem Moment. Sie nickte, rückte ihre Haube zurecht und wandte sich zum Gehen.
    » Wartet«, bat Miguel. » Früher einmal wohnte hier jemand, den ich gut kenne. Ich komme übrigens von weither, von der afrikanischen Küste.«
    Die Alte verhielt ihren Schritt und drehte sich zögernd zu ihm um. Ihre Augen bohrten sich in die seinen. » In diesem Hause gewohnt, sagt Ihr? So, so. Und wer soll das gewesen sein?«
    » Meine junge Ehefrau stammt aus dieser Stadt, sie hat als Kind in ebendiesem Haus gelebt. Ich frage mich, ob Ihr Euch möglicherweise an sie erinnern könnt? Ihr Name ist Mirijam.«
    Die alte Frau schwankte und wäre beinahe gestürzt. Miguel sprang schnell zu ihr und stützte sie. » Du liebe Güte, was ist mit Euch? Kennt Ihr sie etwa?«
    » Sie, und ihre liebe Schwester auch. Ich habe sie beide aufgezogen!«
    » Meu Deus! Dann seid Ihr … Nennt man Euch vielleicht Muhme Gesa? Ich ahnte es!«
    Das Bier floss reichlich. In der Wirtsstube der Zwarte Gans herrschte Hochbetrieb, und an den dicht besetzten Tischen brandete immer wieder Gelächter auf. Vor vier Tagen hatte Miguel in diesem ehrbaren Gasthaus Quartier genommen. Natürlich hätte er ebenso gut an Bord der Santa Anna bleiben können, aber als unbekannter
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