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Pulverfass Iran

Pulverfass Iran

Titel: Pulverfass Iran
Autoren: Kamran Safiarian
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zu sehen ist, sind die riesigen Werbeflächen, die die Skipisten schmücken. Dass das iranische Regime die Sexualität aus der Öffentlichkeit verbannen will und die Jugend genau dieses zum Kampfthema erklärt hat, zeigt sich besonders hier in Dizin. Es beginnt mit getrennten Skipisten für Frauen und Männer, was jedoch von den Jugendlichen immer wieder unterlaufen wird. Schon in den Gondeln sitzen Jungen und Mädchen gemeinsam und es dauert ungefähr eine halbe Stunde, bis man oben am Berg ist. Die Zeit wird genutzt, um zu plaudern, |48| zu flirten, Telefonnummern auszutauschen oder sich für die nächste Party in einem der vielen Chalets zu verabreden. Doch kaum hat die Gondel die Endstation erreicht und man muss aussteigen, wenden die Jungen und Mädchen die Blicke voneinander ab und heizen die Piste herunter. Nach über drei Jahrzehnten islamischer Republik haben die Menschen die öffentlichen „Regeln“ der Sittenpolizei so verinnerlicht, dass man den Eindruck hat, vieles hätte sich automatisiert. Die in grünen Skianzügen patrouillierenden Wächter sind augenscheinlich relativ entspannt, wenn es darum geht, dass Jungen und Mädchen dieselbe Skipiste benutzen oder das Kopftuch einer Snowboardfahrerin extrem weit nach hinten rutscht. Das erleben wir auch auf einer Skipiste unweit von Teheran in Tochal. Als wir mit einigen Jugendlichen sprechen wollen, schreitet ein Sittenwächter ein und fragt nach unseren Ausweisen. Nach einem kurzen und klärenden Gespräch trinken wir dann einen Tee miteinander und tauschen uns mit dem Sicherheitsmann entspannt über die doch schwierigen Lebensbedingungen im Iran aus. Im einen Moment noch relativ aggressiv auf unsere Fragen reagierend, zeigt er uns jetzt freiwillig Skipisten, auf denen Männer und Frauen gemeinsam Snowboard fahren, und spricht verhältnismäßig offen über das, was er täglich auch abseits der Skipisten beobachtet. Nicht selten, erfahren wir, begegnet man spätabends einer persischen Schönheit, die mit Minirock und Stöckelschuhen auf einer abgelegenen Straße durch den Schnee den Weg zu einer Party in einem der vielen Chalets sucht. Auch hier garantieren die Sittenwächter häufig die Sicherheit der Gäste – Bestechung macht es möglich.
    Schönheitsoperationen als Statussymbol
    „Töte mich aber mach mich schön“, sagt schon ein altes persisches Sprichwort. Es beschreibt auch die paradoxe Realität im heutigen Iran. Schon seit Jahrtausenden spielt in der iranischen |49| Kultur die Schönheit eine bedeutende Rolle. In den mehr als dreißig Jahren nach der Islamischen Revolution hat sich das gesellschaftliche Bedürfnis nach Schönheit aus politischen Gründen noch gesteigert. Die Jugend ist zwar jung und auch schön, aber sie darf ihre Schönheit nicht zeigen. Die Gesetze der Islamischen Republik Iran verlangen von Frauen, ihre Haare zu verbergen und lose Kleidung oder einen Tschador zu tragen, um die Formen ihres Körpers und somit ihre „sexuellen Reize“ zu verhüllen. In der Öffentlichkeit sind folglich Haare und Haut tabu, sie müssen hinter dem Schleier verborgen werden. Bereits in der Schule müssen iranische Mädchen eine Schuluniform tragen, ab neun Jahren gilt für sie die Schleierpflicht. Das bedeutet praktisch, dass sie ein Kopftuch und einen Mantel tragen müssen, der auch die Knie bedeckt. Und das in einem Land, dessen Frauen schon seit Jahrhunderten für ihre natürliche Schönheit gerühmt werden. Doch die Frauen haben sich diesen strikten Regeln immer wieder widersetzt und ihre ganz eigene Form des Protestes gefunden. In der Öffentlichkeit rutschen die Kopftücher immer weiter nach hinten und auch die Schminke wird empfindlich dick aufgetragen. Schon das ist für viele eine Form des leisen Widerstandes. Denn häufig werden junge Frauen von Revolutionswächtern oder Mitgliedern der sogenannten Komitees, der Sittenpolizei, aus diesem Grund angehalten und zur Rede gestellt. Manchmal werden sie dann auch auf die Polizeiwache mitgenommen, verhört und ermahnt. Bei Dreharbeiten ist es uns in Teheran auch schon passiert, dass eine unserer Protagonistinnen während der Dreharbeiten auf dem Weg zu einem Internetcafé im Norden Teherans in unserer Anwesenheit von einem wildfremden Mann, wahrscheinlich einem Geheimdienstler in Zivil, mit dem Hinweis angestoßen wurde: „Beachte bitte das Kopftuchgebot.“ Ihr Kopftuch war durch den schnellen Gang nach hinten gerutscht, so dass die Haare ein Stück weit zu sehen waren. Trotzdem sieht man
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