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Pünktchen und Anton

Pünktchen und Anton

Titel: Pünktchen und Anton
Autoren: Erich Kästner
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Theatervorstellung hinein. Piefke lag in dem Kinderbett und schaute nur mit der Schnauze heraus.
    Er spielte gerade den Wolf, der Rotkäppchens Groß-
    mutter gefressen hat. Er kannte das Märchen zwar nicht, aber er spielte seine Rolle nicht übel. Pünktchen stand vor dem Bett, hatte ihre rote Baskenmütze aufgesetzt und trug Bertas Marktkorb am Arm.
    »Aber, Großmutter«, sagte sie erstaunt, »warum hast du so ein großes, großes Maul?«
    Dann verstellte sie ihre Stimme und brummte furchtbar tief: »Damit ich dich besser fressen kann.« Sie stellte ihren Korb ab, trat dicht ans Bett und flüsterte, wie eine Souffleuse, dem kleinen Piefke zu: »So, nun mußt du mich fressen.«
    Piefke kannte, wie gesagt, das Märchen vom Rotkäppchen noch nicht, wälzte sich auf die Seite und tat nichts dergleichen.
    »Friß mich!« befahl Pünktchen. »Willst du mich gleich fressen?« Dann stampfte sie mit dem Fuß auf und rief: »Donnerwetter nochmal! Hörst du denn schwer? Fressen sollst du mich!« Piefke wurde ärgerlich, kroch unter der Bettdecke vor, setzte sich aufs Kopfkissen und bellte, so laut er konnte.
    »Keinen Schimmer hat der Kerl«, erklärte Pünktchen, »ein hundsmiserabler Schauspieler!«
    Fräulein Andacht band Piefke, dem ahnungslosen Wolf, Halsband und Leine um, stopfte das Mädchen in den blauen Mantel mit den Goldknöpfen und sagte: »Hol deinen Leinenhut. Wir gehen spazieren.« Eigentlich wollte Pünktchen die Baskenmütze aufbehalten, aber die Andacht meinte: »Dann darfst du nicht zu Anton.«
    Das wirkte.
    Sie gingen fort. Piefke setzte sich aufs Pflaster und ließ sich von Fräulein Andacht ziehen. »Er rodelt schon wieder«, sagte das Kinderfräulein und nahm ihn auf den Arm, und dort hing er nun wie eine verunglückte Handtasche und zwinkerte unfreundlich.
    »Auf welcher Straße wohnt der Anton? Hast du dir's gemerkt?«
    »Artilleriestraße, vierte Etage, rechts«, sagte Pünktchen.
    »Und welche Hausnummer?«
    »Einhundertachtzig durch fünf«, sagte Pünktchen.
    »Warum merkst du dir nicht gleich sechsunddreißig?« fragte Fräulein Andacht.
    »Es behält sich leichter«, behauptete das Kind.
    »Übrigens scheint Berta Lunte zu riechen, sie sagt, die Streichhölzer müßte geradezu jemand fressen. Dauernd kaufte sie welche, und dauernd wären sie weg. Hoffentlich kommt die Sache nicht 'raus. Der Klepperbein hat auch schon wieder gedroht. Zehn Mark will er haben, sonst verrät er uns. Wenn er's dem Direktor erzählt, au Backe!«
    Fräulein Andacht antwortete nichts. Erstens war sie von Natur mundfaul, und zweitens paßte ihr diese Unterhaltung nicht. Sie gingen die Spree entlang, über eine kleine eiserne Brücke, den Schiffbauerdamm hinauf, die Friedrichstraße links herum, bogen rechts um die Ecke, und da waren sie in der Artilleriestraße.
    »Ein sehr altes, häßliches Haus«, bemerkte das Kinderfräulein. »Sieh dich vor, vielleicht sind Falltüren darin.«
    Pünktchen lachte, nahm Piefke auf den Arm und fragte: »Wo treffen wir uns nachher?«
    »Du holst mich Punkt sechs Uhr bei Sommerlatte ab.«
    »Tanzen Sie da wieder mit Ihrem Bräutigam? Grüßen Sie ihn. Und vergnügtes Tanzbein!« Dann trennten sie sich. Fräulein Andacht ging tanzen, und Pünktchen trat in das fremde Haus. Piefke jaulte, anscheinend gefiel ihm das Haus nicht.
    Anton wohnte im vierten Stock. »Das ist fein, daß du mich mal besuchst«, sagte er. Sie begrüßten einander und standen eine ganze Weile in der Tür. Der junge hatte eine große blaue Schürze um.
    »Das ist Piefke«, erklärte Pünktchen.
    »Sehr erfreut«, sagte Anton und streichelte den kleinen Dackel. Und wieder standen sie nebeneinander und hielten den Mund.
    »Nun aber mal rin in die gute Stube«, meinte Pünktchen schließlich. Da lachten sie, und Anton ging voran.
    Er führte sie in die Küche. »Ich koche gerade«, sagte er.
    »Du kochst?« fragte sie und brachte den Mund gar nicht wieder zu.
    »Na ja«, sagte er. »Was soll man machen? Meine Mutter ist doch schon so lange krank, und da koche ich eben, wenn ich aus der Schule komme. Wir können doch nicht verhungern?«

    »Wieviel Salz schüttet man an die Salzkartoffeln?« erkundigte sich Pünktchen

    »Bitte, laß dich nicht stören«, erklärte Pünktchen, setzte Piefke zur Erde, zog den Mantel aus und legte den H u t ab. »Koche nur ruhig weiter. Ich schau dir zu. Was gibt's denn heute?«
    »Salzkartoffeln«, sagte er, nahm einen Topflappen und trat zum Herd. Auf diesem stand ein Topf, Anton hob
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