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Pünktchen und Anton

Pünktchen und Anton

Titel: Pünktchen und Anton
Autoren: Erich Kästner
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ich dich nicht wieder mit.«
    »Dann läßt du's eben bleiben«, entgegnete sie und ließ seine Hand los.
    Sie waren schon an der Weidendammer Brücke.
    Pünktchen unterhielt sich mit dem Hund, aber lange ertrug sie Antons Schweigen nicht. »Was fehlt eigentlich deiner Mutter?« fragte sie.
    »Sie hatte ein Gewächs im Leib. Dann wurde sie ins Krankenhaus gebracht, und dort wurde ihr das Gewächs herausgeschnitten. Ich habe sie täglich besucht. Mein Gott, sah sie damals schlecht aus, ganz mager und quittegelb. Und nun liegt sie seit vierzehn Tagen zu Hause. Es geht ihr schon viel besser. Die Krankenschwestern waren immer sehr nett zu mir. Ich glaube, sie dachten, meine Mutter müßte sterben.«
    »Was für ein Gewächs hatte sie denn?« fragte Pünktchen. »Eines mit Blüten und Blättern und einem Blumentopf und so? Hatte sie das denn aus Versehen verschluckt?«
    »Sicher nicht«, sagte er. »Davon müßte ich doch was wissen. Nein, es war ihr innerlich gewachsen.«
    »Eine Geranie oder eine Stechpalme?« fragte Pünktchen neugierig.
    »Nein, nein, das muß Haut und Fleisch sein, was im Innern wächst. Und wenn man es nicht 'rausmachen läßt, stirbt man.«
    Nach einer Weile blieb Pünktchen stehen, verschränkte die Hände vor ihrem Bauch und jammerte: »Anton, lieber Anton, es drückt so hier drin. Paß auf, ich habe auch ein Gewächs. Es ist sicher eine kleine Tanne. Ich habe Tannen so gern.«
    »Nein«, sagte er. »Du hast keinen Baum, du hast einen Vogel.«

    Die dritte Nachdenkerei handelt: V O N DER PHANTASIE

    Es ist euch sicher aufgefallen, daß Pünktchen ein ziemlich abwechslungsreiches Mädchen ist. Sie macht vor der Wand Knickse und verkauft ihr Streichhölzer, sie verkleidet sich und zieht den Dackel in einer Bratpfanne hinter sich her, sie legt ihn ins Bett und bildet sich ein, er wäre der Wolf und müßte sie fressen. Sie bittet Herrn Fleischermeister Bullrich, mit ihr vierstimmig zu singen. Schließlich bildet sie sich sogar ein, sie habe ein Gewächs. Sie bildet sich Dinge ein, die es gar nicht gibt oder die in Wirklichkeit ganz anders sind, als sie es sich einbildet.
    Ich habe einmal von einem Mann gelesen, der sehr viel Phantasie besaß und deshalb sehr lebhaft träumte.
    Einmal träumte er zum Beispiel, er spränge aus dem Fenster. Und da wachte er auf und lag doch tatsächlich auf der Straße! Nun wohnte er glücklicherweise im  Parterre. Aber stellt euch vor, der arme Mann hätte vier Treppen hoch gewohnt! Da hätte ja seine Phantasie lebensgefährlich werden können. Phantasie ist eine wunderbare Eigenschaft, aber man muß sie im Zaum halten.

Viertes Kapitel - EINE MEINUNGSVERSCHIEDENHEIT
    F r ä u l e i n Andacht saß inzwischen mit ihrem Bräutigam bei Sommerlatte, und manchmal tanzten sie miteinander. Zwischen den Tischen standen herrlich blühende Apfelbäumchen, die waren aus Pappe und Papier und sahen sehr natürlich aus. In den Pappzweigen hingen, außer den Papierblüten, bunte Ballons und lange Luftschlangen. Das Lokal sah lustig aus, und die Kapelle spielte vergnügte Tänze. Fräulein Andacht hatte, weil sie so groß und mager war, eigentlich nicht mehr geglaubt, daß sie einen Bräutigam bekäme, und nun hatte sie seit vierzehn Tagen doch einen. Wenn er bloß nicht so streng gewesen wäre! Fortwährend kommandierte er herum, und wenn sie nicht gleich gehorchte, blickte er sie so an, daß ihr vor Schreck die Ohren abstanden.
    »Hast du kapiert?« fragte er sie böse.
    »Willst du das wirklich tun, Robert?« fragte sie ängstlich. »Ich habe zweihundert Mark auf der Sparkasse, die kannst du haben.«
    »Deine paar Groschen, dämliche Ziege!« sagte er.
    Woraus man sieht, daß er kein sehr vornehmer Kavalier war. »Bis morgen muß ich den Plan haben.«
    Fräulein Andacht nickte ergeben. Dann flüsterte sie: »Still, die Kinder kommen.«
    Pünktchen und Anton traten an den Tisch. »Das ist Robert der Teufel«, sagte Pünktchen zu Anton und zeigte auf den Bräutigam.
    »Aber, Pünktchen!« rief Fräulein Andacht entsetzt.
    »Laß sie doch«, meinte der Bräutigam und lächelte künstlich. »Sie macht ja nur Spaß, die kleine Prinzessin. Ei, ist das ein niedlicher Pinscher!« sagte er dann und wollte den Dackel streicheln. Aber Piefke sperrte die Schnauze auf, knurrte und wollte beißen. Dann mußten sie sich setzen. Der Bräutigam wollte ihnen heiße Schokolade bestellen, aber Anton sagte: »Nein, mein Herr, machen Sie sich unsertwegen keine unnötigen Ausgaben.«
    Weil die
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