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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen
Autoren: Kevin Dutton
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wo ich mich aufhielt.
    »Wollen Sie sagen, dass es zuweilen nicht unbedingt schlecht ist, ein Psychopath zu sein?«, fragt Rossi ungläubig.
    »Nicht nur das«, erwidere ich mit einem Nicken. »Manchmal ist es sogar gut, einer zu sein – wenn man nämlich genau deswegen einen Vorteil gegenüber anderen Menschen hat.«
    Der ehemalige Fensterputzer war offensichtlich weit davon entfernt, sich überzeugen zu lassen. Und wenn man sich in seinemMuseum umsah, war das nicht weiter verwunderlich. In die Gesellschaft von Bundy und Gacy will man wirklich nicht geraten. Seien wir ehrlich: Wenn sich dann auch noch ein paar Dutzend andere von diesem Typus in den Ecken drängen, ist es wohl schwierig, das Positive zu sehen. Doch das Serienkiller-Museum erzählt nicht die ganze Geschichte, de facto nicht einmal die halbe. Denn das Schicksal eines Psychopathen hängt, wie Helen Morrison erläutert hatte, von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, einschließlich Genen, Familienverhältnissen, Erziehung, Intelligenz und Chancen. Und wie diese Faktoren miteinander interagieren.
    Jim Kouri, der Vizepräsident der US National Association of Chiefs of Police, sieht das ähnlich. Eigenschaften, die man häufig bei psychopathischen Serienkillern antrifft – ein grandioses Selbstwertgefühl, Überzeugungskraft, oberflächlicher Charme, Rücksichtslosigkeit, fehlende Reue und die Fähigkeit, andere Menschen zu manipulieren –, sind, so Kouri, auch unter Politikern und Führungspersönlichkeiten weit verbreitet. Unter Menschen also, die sich nicht vor der Polizei verstecken, sondern ganz das Gegenteil tun. Ein solches Profil, sagt Kouri, erlaubt es den Betreffenden, zu tun,
was
sie wollen,
wann immer
sie es wollen, völlig unbeeindruckt von den sozialen, moralischen oder rechtlichen Folgen ihres Handelns.
    Wenn Sie unter einem solchen Stern geboren wurden und so viel Macht über den menschlichen Verstand haben wie der Mond über das Meer, dann ordnen Sie womöglich den Mord an 100 000 Kurden an und schlurfen mit einer solch rätselhaften Renitenz zum Galgen, dass selbst Ihre schärfsten Gegner eine perverse, unausgesprochene Hochachtung empfinden.
    »Ich habe vor niemandem Angst«, soll Saddam Hussein wenige Minuten vor seiner Hinrichtung gesagt haben.
    Wenn Sie gewalttätig und durchtrieben sind wie Robert Maudsley, ein »Hannibal Lecter« des wirklichen Lebens, dann locken Sie womöglich einen Mitinsassen in Ihre Zelle, schlagen ihm mit einem Tischlerhammer den Schädel ein und verspeisensein Gehirn: so lässig, als handele es sich um ein weichgekochtes Ei. (Maudsley hat übrigens die vergangenen dreißig Jahre in Einzelhaft verbracht, eingesperrt in eine mit Panzerglas ausgekleidete Zelle im Kellergeschoss des Wakefield-Gefängnisses in England.)
    Sind Sie jedoch ein brillanter Neurochirurg, der auch unter immensem Druck eiskalt und fokussiert handelt, dann könnten Sie so wie James Geraghty Ihr Glück auf einem ganz anderen Spielfeld versuchen: auf den entlegenen Vorposten der Medizin des 21. Jahrhunderts, wo das Risiko mit einer Windgeschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde hereinweht und der Sauerstoff für langes Nachdenken zu dünn ist.
    »Ich habe kein Mitgefühl mit denen, die ich operiere«, sagte er mir. »Diesen Luxus kann ich mir einfach nicht leisten. Im OP werde ich wiedergeboren: als kalte, herzlose Maschine, völlig eins mit Skalpell, Bohrer und Säge. Wenn man dem Tod hoch oben über der Schneegrenze des Gehirns ein Schnippchen schlagen möchte, sind Gefühle unangebracht. Emotionen sind äußerst schlecht fürs Geschäft. Ich habe sie im Lauf der Jahre so gut wie ausgemerzt.« Geraghty gehört zu den Topchirurgen Großbritanniens. Bei seinen Worten läuft es einem kalt über den Rücken. Andererseits leuchten sie auch ein.
    Kaum hat man das Wort Psychopath ausgesprochen, tauchen im Kopf Bilder von Serienkillern, Vergewaltigern und verrückten Bombenlegern auf. Was aber, wenn ich Ihnen ein völlig anderes Bild zeichne? Wenn ich Ihnen sage, dass der Brandstifter, der Ihr Haus niederbrennt, in einem Paralleluniversum auch der Held sein könnte, der sich mutig in ein brennendes, einsturzgefährdetes Gebäude stürzt, um nach Ihren Lieben zu suchen und sie dort herauszuholen? Oder dass der Jugendliche, der in einer dunklen Gasse mit einem Messer auf Sie lauert, zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort mit einem anderen Messer bei einer Operation Ihr Leben retten könnte?
    Solche Aussagen sind natürlich schwer zu glauben.
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