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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen
Autoren: Kevin Dutton
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man über die natürliche Selektion weiß, folgern, dass es sich nicht um eine Einbahnstraße gehandelt haben kann. Friedfertigere Mitglieder der unmittelbaren wie auch der größeren Gemeinschaft werden höchstwahrscheinlich einen Mechanismus entwickelt haben, eine geheime neurale Überwachungstechnologie, die Gefahr signalisierte, wenn etwas in den kognitiven Luftraum eindrang – ein geheimes Frühwarnsystem, damit man sich schnell aus dem Staub machen konnte.
    Wenn man betrachtet, was Angela Book über die Opfer von Angriffen herausgefunden hat und ich über das Schmuggeln von roten Taschentüchern, dann wäre ein solcher Mechanismus auch eine ziemlich plausible Erklärung für die Geschlechter- und Statusunterschiede in Meloys Experiment. Wenn man sich den Psychopathen als eine Art diabolischen emotionalen Sommelier mit einem Näschen für die verborgenen Basstöne der Schwäche vorstellen muss, dann lässt sich nicht ausschließen, dass Frauen als raffinierten darwinistischen Ausgleich für eine größere physische Verletzlichkeit sehr wohl intensivere und häufigere Reaktionen zeigen – aus genau demselben Grund wie die Kliniker mit einem niedrigeren Status.
    Auf jeden Fall ist es eine Arbeitshypothese: Je stärker man sich bedroht fühlt und je höher das Risiko für einen Einbruch ist, desto wichtiger ist es, die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen.
    Zweifellos gab es in den fernen Tagen unserer Vorfahren gnadenlose, unbarmherzige Jäger, die in der Kunst des räuberischen Verhaltens versiert waren. Sie mussten sich in der Natur sehr gut auskennen, um Erfolg zu haben. Das muss aber noch nicht heißen, dass sie Psychopathen waren, wie wir sie heute kennen. Dagegen spricht aus diagnostischer Sicht die Empathie. Denn es ist anzunehmen, dass nicht die blutrünstigsten und unermüdlichsten Individuen die erfolgreichsten Jäger waren, wie man vielleicht erwarten würde, sondern die mit der größten Gelassenheit und dem besten Einfühlungsvermögen. Sie konnten die Mentalität ihrer Beute verstehen, sie waren fähig, »über den Tellerrand zu gucken«, sich in die Lage der Jagdobjekte zu versetzen und damit auch die typischen Fluchtstrategien vorauszusagen.
    Um das zu verstehen, muss man nur beobachten, wie ein Kleinkind laufen lernt. Die allmähliche Entwicklung der aufrechten Fortbewegung, der zunehmenden Zweifüßigkeit, kündigte den Beginn einer brandneuen Ära der Lebensmittelbeschaffung an. Eine aufrechte Haltung ermöglichte eine effizientere Mobilität und erlaubte es unseren Vorfahren in der afrikanischen Savanne, über wesentlich längere Zeitspannen nach Futter zu suchen und zu jagen, als es mit der vierbeinigen Fortbewegung möglich gewesen wäre.
    Doch die »Ausdauerjagd«, wie die Anthropologie sie nennt, hat ihre eigenen Probleme. Gnus und Antilopen können viel schneller laufen als der Mensch. Bevor er guckt, sind sie hinter dem Horizont verschwunden. Gelingt es dem Jäger jedoch, vorherzusagen, wo sie schließlich vielleicht anhalten werden, indem er nachsieht, was sie bei ihrer Flucht zurückgelassen haben, oder ihre Gedanken liest, oder beides –, kann er seine Erfolgschancen und damit auch seine Überlebenschancen verbessern.
    Wie aber können Jäger, die Empathie zeigen und in manchen Fällen sogar in hohem Maße empathisch sind, Psychopathen sein? Was Psychopathen angeht, sind sich die meisten Leute in einer Sache einig: Charakteristisch ist das deutliche Fehlen von Gefühlen und ein außergewöhnlicher Mangel an Verständnis. Wie also lösen wir diese Quadratur des Kreises?
    Hilfe naht in Form der kognitiven Neurowissenschaften, unterstützt von ein wenig teuflischer Moralphilosophie.
Das Straßenbahn-Dilemma
    Joshua Green, Psychologe an der Harvard University, hat die letzten Jahre damit verbracht, zu beobachten, wie Psychopathen moralische Dilemmata lösen, wie ihr Gehirn in verschiedenen ethischen Druckkammern reagiert. 4 Und hat etwas Interessantes herausgefunden. Empathie ist keineswegs ein homogenes Phänomen, Empathie ist schizophren. Es gibt zwei unterschiedliche Arten: warm und kalt.
    Betrachten Sie das folgende Gedankenexperiment (Fall 1), das erstmals von der Philosophin Philippa Foot beschrieben wurde: 5
    Eine Straßenbahn donnert unkontrolliert über ein Gleis und droht, fünf Menschen zu überrollen, die sich dort befinden und nicht entkommen können. Glücklicherweise können Sie eine Weiche umstellen und die Straßenbahn weg von den fünf Menschen auf ein anderes Gleis
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