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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen
Autoren: Kevin Dutton
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Dennoch sind sie wahr. Psychopathen sind furchtlos, selbstsicher, charismatisch,skrupellos und fokussiert, doch im Gegensatz zur landläufigen Meinung nicht unbedingt gewalttätig. Das klingt nicht nur gut – es ist auch gut. Oder kann es vielmehr sein. Es hängt ganz davon ab, welche anderen Persönlichkeitsmerkmale sich noch dazugesellen. Der Fall ist keineswegs so klar, wie es auf Anhieb scheint: Entweder ist man ein Psychopath oder man ist keiner. Es gibt innere und äußere Zonen der Störung: ein bisschen wie bei den Tarifzonen auf einer U-Bahn-Karte. Wir haben es, wie wir in Kapitel 2 sehen werden, mit einem Spektrum zu tun, auf dem fast jeder von uns seinen Platz hat. Nur eine kleine Minderheit bevölkert die »Innenstadt«.
    Ein Mensch kann zum Beispiel unter Druck eiskalt sein und etwa so viel Empathie zeigen wie eine Lawine (einigen von dieser Sorte werden wir später auf dem Börsenparkett begegnen). Das bedeutet nicht automatisch, dass er auch gewalttätig, antisozial oder gewissenlos handelt. Ein solches Individuum weist zwar zwei psychopathische Merkmale auf und steht damit auf der »psychopathischen« Skala höher als jemand, dem diese Merkmale fehlen. Damit ist es aber noch weit entfernt von der Gefahrenzone derjenigen, die sämtliche psychopathischen Merkmale aufweisen.
    Zwischen einem Tiger Woods und jemandem, der an den Wochenenden zur Erholung Golf spielt, gibt es keine scharfe, klar definierbare Trennlinie. Genauso unscharf ist auch die Grenze zwischen einem Weltklassepsychopathen und jemandem, der sich lediglich »psychopathisch« verhält. Psychopathische Merkmale sind wie die Stellknöpfe und Schieberegler an einem Mischpult. Wenn man alle auf maximal stellt, kommt ein Soundtrack heraus, mit dem keiner etwas anfangen kann. Wird der Soundtrack jedoch so zusammengemischt, dass einige Knöpfe und Regler höher eingestellt sind als andere – so wie zum Beispiel Furchtlosigkeit, Fokus, mangelnde Empathie und mentale Härte –, kann es sich um einen überragenden Chirurgen handeln, der auf seinem Gebiet höchste Leistungen vollbringt.
    Natürlich ist die Chirurgie nur ein Beispiel dafür, dass sich ein psychopathisches »Talent« als vorteilhaft erweisen kann. Es gibt andere. Nehmen wir zum Beispiel die Strafverfolgung. Im Jahr 2009, kurz nachdem Angela Book die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlicht hatte, beschloss ich, eigene Forschungen zu betreiben. Wenn es, wie Book festgestellt hatte, Psychopathen
tatsächlich
besser gelang, Schwächen zu erkennen, dann musste es auch Bereiche geben, in denen sich diese Fähigkeit zum Vorteil der Gesellschaft nutzen ließ. Die Erleuchtung kam mir, als ich einen Freund am Flughafen abholte. Wir werden alle ein bisschen paranoid, wenn wir durch den Zoll gehen, dachte ich mir. Selbst wenn wir völlig unschuldig sind. Doch wie würde es sich wohl anfühlen, wenn wir
wirklich
etwas zu verbergen hätten?
    An meinem Experiment nahmen dreißig Studenten teil: Die Hälfte von ihnen hatte auf der Self-Report Psychopathy Scale eine hohe Punktzahl erzielt, die andere Hälfte eine niedrige. Darüber hinaus gab es fünf mögliche »Täter«. Die Aufgabe der Studenten war leicht. Sie mussten in einem Klassenzimmer sitzen und beobachten, wie die potenziellen »Täter« durch eine Tür hereinkamen, eine kleine erhöhte Bühne überquerten und auf der anderen Seite wieder hinausgingen. Doch das war nicht alles. Die Studenten mussten aus den Bewegungen der »Täter« auch schließen, wer von ihnen »schuldig« war: wer von den fünfen ein scharlachrotes Taschentuch schmuggelte.
    Um den Anreiz zu erhöhen, erhielt der »schuldige« Täter, d. h. der mit dem Taschentuch, 100 Pfund. Gelang es der Jury, ihn zu identifizieren, musste er das Geld zurückgeben. Kam der »schuldige Täter« jedoch davon, weil der Verdacht auf jemand anderen fiel, wurde er belohnt und durfte die 100 Pfund behalten.
    Die »Täter« waren eindeutig nervös, als sie ihren Auftritt hatten. Aber wer von den Studenten würde der bessere »Zollbeamte« sein? Würden sich die Raubtierinstinkte der Psychopathen als verlässlich erweisen? Oder würde ihr Gespür für Schwächen sie im Stich lassen?
    Die Ergebnisse waren außergewöhnlich. Von den Probanden, die auf der Self-Report Psychopathy Scale eine hohe Punktzahl erzielt hatten, pickten über 70 Prozent den »Schmuggler« heraus. Bei den Probanden mit einer niedrigen Punktzahl schafften es nur 30 Prozent.
    Schwächen zu erkennen mag also durchaus zum
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