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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen
Autoren: Kevin Dutton
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Gefühle zu entdecken, dann irren Sie sich. Paul Ekman von der University of California, Berkeley, berichtet, dass zwei tibetische Mönche mit großer Meditationserfahrung Richter, Polizisten, Psychiater, Zollbeamte und sogar Geheimagenten bei einer Gesichtserkennungsaufgabe übertrafen, die jeden, der sich an ihr versuchte (und es waren über 5000 gewesen), in Verlegenheit gebracht hatte. 170
    Die Aufgabe besteht aus zwei Teilen. Zuerst erscheinen auf einem Computerbildschirm Bilder von Gesichtern, die eine der sechs Grundemotionen (Wut, Trauer, Freude, Furcht, Abscheu und Überraschung) zeigen. Die Bilder werden lange genug eingeblendet, um vom Gehirn verarbeitet werden zu können – aber nicht so lange, dass die Probanden bewusst berichten könnten, was sie sehen. Im zweiten Teil der Aufgabe müssen die Probanden bei einer »Gegenüberstellung« mit sechs Personen dasjenige Gesicht erkennen, das vorher auf dem Bildschirm aufgeblinkt war.
    Normalerweise ist die Trefferrate sehr gering. So kommen die Probanden bei sechs Versuchen im Durchschnitt auf einen Treffer.
    Bei den Mönchen hingegen lag die Rate bei drei oder vier Treffern.
    Ihr Geheimnis, so vermutet Ekman, könnte eine größere,fast übernatürliche Fähigkeit sein, Mikro-Ausdrücke zu lesen: jene winzigen, für eine Millisekunde sichtbaren Emotionen, die über unser Gesicht huschen, bevor unser Bewusstsein Zeit hat, die Löschtaste zu drücken und das Bild zu zeigen, das wir präsentieren möchten.
    Trifft dies zu, dann haben sie diese Fähigkeit mit Psychopathen gemein.
    Sabrina Demetrioff von der University of British Columbia hat vor Kurzem bei Menschen, die eine hohe Punktzahl auf der Self-Report Psychopathy Scale von Hare erzielt hatten, genau diese Fähigkeiten entdeckt – und zwar vor allem in Bezug auf Mikro-Ausdrücke, die Furcht und Trauer erkennen lassen. 171
    Noch faszinierender ist, was geschah, als Ekman einen der von ihm getesteten Mönche mit in das von seinem Kollegen Robert Levenson geleitete Psychophysiologielabor der University of California, Berkeley, mitnahm, um seine »Geistesgegenwart« zu testen. Dort schlossen die Forscher den Mönch an Geräte an, die schon kleinste Schwankungen der autonomen Funktionen registrieren – Muskelkontraktion, Pulsfrequenz, Transpiration und Hauttemperatur –, und erklärten ihm, dass er innerhalb der nächsten fünf Minuten das Geräusch einer plötzlichen lauten Explosion hören würde (von einer Lautstärke, als würde man nur wenige Zentimeter vom Ohr entfernt ein Gewehr abfeuern: das Maximum dessen, was das menschliche Gehör tolerieren kann).
    Dann wies man den vorgewarnten Mönch an, die unausweichliche »Schreckreaktion« so gut wie möglich zu unterdrücken: und zwar so, dass sie, sofern sich dies überhaupt bewerkstelligen ließ, nicht mehr zu erkennen sei.
    Natürlich erwarteten Ekman und Levenson kein Wunder. Von den unzähligen Probanden, die sie bereits in ihrem Labor getestet hatten, war es keinem einzigen gelungen, so zu reagieren. Nicht einmal Scharfschützen der Polizei. Überhaupt nicht zu reagieren war einfach unmöglich. Die Monitore fingen immer irgendetwas ein.
    Das dachten sie jedenfalls.
    Aber sie hatten noch nie einen tibetischen Meditationsexperten getestet. Und zu ihrem großen Erstaunen fanden sie endlich ihren Meister. Allen Gesetzen der menschlichen Physiologie zum Trotz zeigte der Mönch nicht die geringste Reaktion auf die Explosion. Er zuckte nicht zusammen. Er tat
gar nichts
.
    Der Schuss fiel ... und der Mönch saß einfach nur da. So etwas hatten Ekman und Levenson in all den Jahren noch nicht erlebt.
    »Wenn er den Versuch macht, die Schreckreaktion zu unterdrücken, verschwindet sie fast«, sagte Ekman anschließend. »Das ist vorher noch keinem anderen unserer Probanden gelungen. Und auch keinem der Probanden anderer Forscher. Es ist eine spektakuläre Leistung. Wir wissen nicht, wie dies anatomisch möglich ist.«
    Der Mönch selbst, der im Augenblick der Explosion eine als »Open Presence«-Meditation bekannte Technik angewendet hatte, erklärt die Sache so: »In diesem Zustand habe ich nicht aktiv versucht, die Schreckreaktion zu unterdrücken. Aber die Detonation wirkte schwächer, so als würde ich sie aus der Ferne hören ... In einem abgelenkten Zustand bringt die Explosion einen plötzlich zurück in die Gegenwart, sodass man überrascht hochschreckt. Doch während der »Open Presence«-Meditation ruht man im gegenwärtigen Moment. Und der Knall ist
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