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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen
Autoren: Kevin Dutton
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Temperatur so weit im Minus lag, dass das Thermometer beinahe geborsten wäre.
    »Es gab damals eine Serie bewaffneter Raubüberfälle«, erklärt Beasley. »Wer immer sie auch beging, hatte keine allzu großen Probleme damit, den Abzug zu betätigen. Normalerweise wird die Waffe bei bewaffneten Raubüberfällen nur als Drohmittel benutzt. Doch dieser Typ war anders. Und er schoss immer aus nächster Nähe. Gab einen einzigen Schuss in den Kopf ab. Ich hatte nicht den leisesten Zweifel, dass es sich um einen Psychopathen handelte. Der Typ war eiskalt. Faszinierend rücksichtslos. Aber irgendetwas passte nicht ganz ins Bild. Etwas an ihm beunruhigte mich.
    Nach einem der Morde – der sich dann als sein letzter herausstellte, weil wir ihn kurz danach schnappten – hatte er die Jacke seines Opfers mitgenommen. Das ergab überhaupt keinen Sinn. Wenn jemand ein Kleidungsstück von einem Tatort mitnimmt, bedeutet das normalerweise entweder, dass Sexualität im Spiel ist oder irgendeine andere Fantasie ausgelebt wird. Wir sprechen dann von einem Trophäenmord. Doch keins dieser beiden Szenarien passte zum Profil dieses Typen. 166 Er war zu – ich weiß nicht – funktionell. So durch und durch geschäftsmäßig, wenn Sie wissen, was ich meine.
    Nach der Festnahme haben wir ihn dann gefragt, warum er die Jacke des Typen mitgenommen hatte. Und wissen Sie, was er geantwortet hat? ›Ach, die? Das war aus einer Laune heraus. Auf dem Weg zur Tür hab ich den Kerl angesehen, der zusammengesunkenüber dem Ladentisch hing, und plötzlich gedacht: Hm, die Jacke passt irgendwie zu meinem Hemd. Also, was soll’s? Der Typ ist tot. Er braucht sie nicht mehr. Da hab ich sie genommen. Hab sie zufällig abends, als ich in eine Bar ging, getragen. Hatte dann Sex. Man könnte sagen, es ist meine Glücksjacke. Pech für ihn. Aber Glück für mich.‹«
    Wenn man Geschichten wie diese hört, kann man sich kaum vorstellen, dass Psychopathen jemals auch nur von Mitgefühl gehört, geschweige denn, es empfunden haben. Doch so einfach ist die Sache nicht. Mem Mahmut hat uns z. B. gezeigt, dass Psychopathen unter gewissen Umständen tatsächlich
empathischer
sind als der Rest von uns. Oder auf jeden Fall hilfsbereiter. Die Studie von Shirley Fecteau und ihren Kollegen hat deutlich gemacht, dass bei Psychopathen mehr in den Spiegelneuronensystemen los zu sein scheint als bei Nicht-Psychopathen, vor allem was die Neuronen in den somatosensorischen Arealen des Gehirns angeht – diejenigen, die es uns ermöglichen, uns mit anderen zu identifizieren, wenn sie körperliche Schmerzen erleiden.
    Die Frage, ob einige Psychopathen tatsächlich mehr Mitgefühl empfinden als andere, es besser ein- und ausschalten oder es einfach besser vortäuschen können, lässt sich derzeit nicht beantworten. Aber es ist eine faszinierende Frage, die genau den Kern dessen trifft, was wir über die Psychopathen herausfinden wollen: ihre wahre Identität. Und eine, die zweifellos noch lange heiß diskutiert werden wird.
    Im Zusammenhang mit genau diesem Thema frage ich Beasley nach Serienmördern. Wo liegen
sie
seiner Erfahrung nach auf der Empathieskala? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Antwort bereits kenne. Doch wie sich herausstellt, hat Beasley eine Überraschung für mich parat.
    »Wissen Sie, diese Vorstellung, dass Serienkiller kein Mitgefühl haben, ist ein bisschen irreführend«, sagt er. »Natürlich hat man die Mörder à la Henry Lee Lucas, die sagen, jemandenzu töten sei nichts anderes, als eine Wanze zu zerquetschen. [39] Und für diese funktionelle Spezies von Serienmördern, für die Mord Mittel zum Zweck ist und die nur auf schnell verdientes Geld aus sind, mag der Mangel an Mitgefühl durchaus nützlich sein und dazu beitragen, dass sie so schwer zu fassen sind. Tote erzählen keine Geschichten, stimmt’s?
    Doch bei einer anderen Kategorie von Serienmördern, den Sadisten, für die der Mord einen Selbstzweck darstellt, dient Empathie, ja sogar eine verstärkte Empathie, zwei wichtigen Zwecken. 167
    Nehmen Sie Ted Bundy zum Beispiel. Bundy umgarnte seine Opfer, bei denen es sich ausnahmslos um Collegestudentinnen handelte, indem er vorgab, auf die eine oder andere Weise behindert zu sein. Einen Arm in der Schlinge, Krücken und dergleichen. Bundy wusste, zumindest rational, auf welchen Knopf er drücken musste, um ihre Hilfe zu erhalten: um ihr Vertrauen zu gewinnen. Wenn er das nicht gewusst hätte, wenn er nicht fähig gewesen wäre,
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