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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen
Autoren: Kevin Dutton
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nichts weiter als eine kleine Störung, so als würde ein Vogel vorüberfliegen.«
    Ich frage mich, ob sie einen Hörtest mit ihm gemacht haben.
Autobahnmorde
    Die Forschungen von Paul Ekman, Robert Levenson und dem an früherer Stelle dieses Kapitels erwähnten Neurowissenschaftler Richard Davidson bestätigen die Ansicht, dass die Kultivierung und Aufrechterhaltung eines entspannten Geisteszustandsuns nicht nur helfen, besser mit dem Stress des modernen Lebens umzugehen, sondern auch, die Stressoren besser wahrzunehmen. Natürlich werden nur wenige von uns je in die spirituellen Sphären vordringen, in denen tibetische Mönche zu Hause sind. Doch für die meisten von uns hat es sich schon das eine oder andere Mal ausgezahlt, einen kühlen Kopf zu bewahren.
    Psychopathen bilden allem Anschein nach jedoch die Ausnahme von der Regel, denn wie ihre Leistung bei der Aufgabe mit den moralischen Dilemmata gezeigt hat, brauchen sie im Unterschied zu den buddhistischen Mönchen nicht zu meditieren, um innere Ruhe zu gewinnen – sie besitzen diese Fähigkeit wohl von Natur aus. Eine solche Schlussfolgerung stützen nicht nur ihre Ergebnisse bei kognitiven Aufgaben, in denen es um die Entscheidungsfindung geht. Weitere Beweise für dieses angeborene Talent, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, liefern grundlegende Studien der
emotionalen
Reaktivität.
    So verglich z. B. Chris Patrick von der Florida State University die Reaktionen von Psychopathen und Nicht-Psychopathen, während diese eine Reihe ekelerregender bzw. erotischer Bilder betrachteten. 172 Dabei zeigte sich, dass die Psychopathen bei allen physiologischen Messungen – Blutdruck, Schweißproduktion, Herzfrequenz und Blinzelrate – eine bedeutend geringere Erregung zeigten als die normalen Mitglieder der Bevölkerung. Oder im Fachjargon ausgedrückt: Sie hatten eine abgeschwächte
emotionale Schreckreaktion
.
    Von größter Bedeutung, so schrieb der buddhistische Lehrer Atisha im 11. Jahrhundert, ist die Selbstbeherrschung, die größte Magie das Umwandeln der Leidenschaften. 173 Und bis zu einem gewissen Grad scheinen sich Psychopathen uns gegenüber einen Vorsprung verschafft zu haben.
    Und das nicht nur im übertragenen Sinn. Die Aussage, der Psychopath sei uns »einen Schritt voraus«, trifft zuweilen auch im wörtlichen Sinne zu – etwa dann, wenn es darum geht, wie wir auf emotionale Stimuli reagieren, oder darum, von A nach B zu gelangen.
    Wobei diese ständige Wanderschaft genauso anstrengend sein kann wie die Askese.
    Der flüchtige, rastlose Lebensstil, ein grundlegendes Merkmal der psychopathischen Persönlichkeit, spielt so wie die Umwandlung der Leidenschaften eine wichtige Rolle in alten Überlieferungen von spiritueller Erleuchtung. Zu Lebzeiten Atishas z. B. galt der
Shramana
oder Wandermönch als die Verkörperung des spirituellen Archetypus – und das shramanische Ideal der Entsagung und des Verzichts, der Einsamkeit und inneren Einkehr glich dem Pfad zur Erleuchtung, dem der Buddha selbst folgte.
    Heutzutage gehört der Shramana natürlich der Vergangenheit an: ein Urgeist, der sich in den gespenstischen sternenübersäten Wüsteneien herumtreibt. Doch in den Schatten von neonbeleuchteten Bars, Motels und Casinos treffen wir noch immer den Psychopathen an, der so wie seine mönchischen Ahnen eine nomadische Existenz führt.
    Nehmen wir die Serienmörder. Laut jüngsten Schätzungen des FBI sind in den USA zu jedem beliebigen Zeitpunkt 35 bis 50 Serienmörder aktiv. 174 Das sind verdammt viele. Doch wenn man sich ein wenig intensiver damit beschäftigt, warum es so viele sind, fragt man sich schon bald, ob es nicht in Wirklichkeit mehr sein müssten.
    Das US Interstate-Highway-System hat zwei Gesichter. Am Tag sind die Rastplätze gut besucht und es herrscht eine gesellige, familiäre Atmosphäre. Doch sobald es dunkel wird, kann die Stimmung schnell umschlagen – und viele dieser Rastplätze werden dann von Drogenhändlern und Prostituierten auf der Suche nach leichter Beute frequentiert: Fernfahrern und anderen Wanderarbeitern.
    Häufig werden diese Frauen von ihren Familien nicht vermisst und liegen wochen-, ja manchmal jahrelang an Rastplätzen oder auf unerschlossenem Gelände herum, oft Hunderte von Meilen von dem Ort entfernt, an dem sie ursprünglich in einen Wagen gestiegen sind. Vor Kurzem hat die Polizei die fünfbis zehn Jahre alten sterblichen Überreste von einem der Opfer des Long-Island-Serienmörders gefunden, der zur
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