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Psychologische Venentherapie

Psychologische Venentherapie

Titel: Psychologische Venentherapie
Autoren: Berndt Rieger
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werden. Linser spritzt einmal am Tag eine Mischung von Salvarsan (Arsphenamin) und Sublimat (Quecksilberchlorid) in Venen, denen keimtötende Wirkung zugeschrieben wird, und merkt zu seinem Ärger, dass sich dabei in den Adern fest haftende Thrombosen bilden. Die Venen verschließen sich dadurch, und man muss immer wieder neue Venen finden, um diese Therapie überhaupt durchführen zu können. Letztendlich kommt es bei manchen Patienten sogar dazu, dass man überhaupt keine oberflächlichen Venen mehr für Injektionen finden kann. Linser schließt daraus, dass manche Reagenzien offenbar eine sehr starke Irritation der Innenschicht von Venen zur Folge haben. Vielleicht kann man diesen Effekt therapeutisch nutzen? Denn offensichtlich führt diese Therapie ja auch nicht zu den gefürchteten Embolien, die manche noch aggressivere Mittel zur Folge haben. Man kennt das von Schlangenbissen, deren Gifte im Blut selbst Thrombosen auslösen können. Diese sind weich, haften nicht an und führen oft binnen Minuten zum Tod durch Lungenembolie. So aggressiv sind Quecksilber und Arsen in der Vene wohl nicht, aber immerhin aggressiv genug, um diese vor Ort zu reizen, eine Thrombose und Entzündung hervorzurufen, wodurch sich die Adern verschließen. Das kann im Fall von Krampfadern ja von Vorteil sein, denn sobald diese zugeht, wird sie ja vom Körper abgebaut und verschwindet. Das wäre dann also eher gewünschte Wirkung statt lästige Nebenwirkung. Linser ist von dieser Entdeckung bald wie elektrisiert, denn die chirurgische Behandlung von Krampfadern ist damals wie heute äußerst beschwerlich und nicht selten tödlich durch Lungenembolie und wird diese Gefahr nie ganz verlieren.
     
    Linser arbeitet noch in der Geniezeit vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs, als in Europa zahlreiche bahnbrechende Erfindungen gemacht werden. So ist das auch im Bereich der Medizin. Hier hat Deutschland die Führungsrolle, deutsche medizinische Fakultäten genießen einen weltweiten Ruf. Die Jahrhundertwende ist überhaupt eine Zeit der großen Neuerungen, und dazu scheint auch diese neue Beobachtung über das Wesen von Venen zu gehören. Krampfadern mit der Injektion von Arzneien einfach „wegzuspritzen“ würde einen großen Durchbruch in der Dermatologie an sich bedeuten. Linser wirft sich in der Folge fieberhaft auf diese Methode und wird vom „Wald-und-Wiesen“-Dermatologen, der sich an der Behandlung der Syphilis versucht hat, zu einem der ersten Venenspezialisten in Deutschland und Europa überhaupt.
     
    Es ist das die Geburtsstunde der psychologischen Venentherapie, und wie das bei großen Entdeckungen so ist, finden sie zufällig statt und können zu Beginn in ihrer Tragweite noch gar nicht richtig eingeschätzt werden. Die wesentlichen Elemente der heutigen Kochsalztherapie sind jedoch schon vorhanden. Krampfadern werden fortan nicht mehr herausgeschnitten wie Schädlinge, die sich ins Fleisch gebohrt haben – die chirurgische Methode, Krampfadern zu behandeln, geht auf das Altertum zurück und wurde vielfach auch mit dem Brenneisen versucht, eine frühe Form der Lasertherapie. Damit soll jetzt endgültig Schluss sein. Man verfügt neuerdings über Spritzen und Nadeln, mit denen eine Lösung gezielt in eine Krampfader eingebracht werden kann, wodurch die Würde der Körpergrenzen vorerst einmal gewahrt bleibt. Durch diese Gegebenheiten verbleibt – psychologisch gesehen – die Verantwortung der Auflösung von Krampfadern zum Großteil im Körper selbst, was sich auch positiv auf die Seele auswirkt. Adern zu veröden und vor Ort zu belassen ist der erste Schritt, dem Menschen die Verantwortung zur Selbstheilung zu überlassen. So soll es sein, und dadurch ist auch ein nachhaltiger Effekt zu erwarten.
     
    Wer ist dieser Paul Linser eigentlich? Franz Paul Clemens Linser wurde am 5. Sept. 1871 in Aalen in Württemberg als Sohn eines Arztes geboren. Nach seinem Medizinstudium kam er in den 1890er Jahren nach Tübingen an die Universität. Im Jahre 1904 habilitierte er sich dort als Privatdozent für Dermatologie, wurde 1909 außerordentlicher Professor und erhielt 1923 als o.ö. Professor einen Lehrstuhl für sein Fach, das er bis zu seiner Zwangsemeritierung (aus politischen Gründen) während der Nazizeit im Jahr 1935 inne hatte. Linser war zu dem Zeitpunkt schon 64 Jahre alt. Seine aktive Zeit war vorüber, weshalb er auch in Tübingen wohnen bleiben und den Krieg überstehen konnte. Er war ein sehr geachteter Mann, einer der
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