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Psychologische Venentherapie

Psychologische Venentherapie

Titel: Psychologische Venentherapie
Autoren: Berndt Rieger
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Besenreißern fällt damals überhaupt flach, weil diese nur selten eine ausreichende Dicke erreichen. Größere Krampfadern zwischen fünf Millimetern und zwei Zentimetern sind relativ leicht zu treffen, doch ob man sich mit diesen groben Instrumenten, wenn die Nadel erst einmal in das Gewebe versenkt ist, sich noch innerhalb der weichen Struktur der Krampfader befindet oder ob man schon ins Zwischengewebe spritzt, weiß man dabei nie so genau. Das kann aber, je aggressiver eine Arznei ist, auch zu großen Schäden führen, den auch hochkonzentrierte Kochsalzlösung ist direkt im Gewebe aggressiv wie Salzsäure, führt zum Gewebszerfall und zu großen Geschwüren. Damals ist durch die Beschränkung des Materials auch die Empfehlung entstanden, nur Krampfadern ab einer Dicke von 2 mm mit Kochsalz zu behandeln, was damals eine sehr mutige Einschätzung darstellt. Heute wird ein geschickter Arzt jede erdenkliche Krampfader mit Einmalkanülen erreichen können, die zwischen 0,4 und 0,9 mm dick sind und dadurch für jedes Gefäß geeignet sind, das man mit freiem Auge sehen kann.
     
    Die Entwicklung der Kochsalztherapie wird durch die Ereignisse des 1. Weltkriegs verzögert und verläuft stufenweise. 1916 veröffentlicht Paul Linser seine ersten Ergebnisse einer Krampfaderverödung mittels Einspritzung. Er hat eine 1%ige Quecksilberlösung verwendet und damit zahlreiche Krampfadern erfolgreich zum Verschluss gebracht. Die Studie verursacht großes Aufsehen, denn dieses Verfahren ist recht schonend im Vergleich zu dem, was man bislang gemacht hat. Krampfadern zu veröden war schon sehr früh versucht worden, von Monteggio im Jahr 1813 und Leroy d'Etiolles im Jahr 1830, wobei Eisenchlorid zur Anwendung kam. Beide Versuche fanden noch vor der Erfindung geeigneter Injektionsmaterialien statt und waren schon deshalb nur eingeschränkt verwertbar. Eigentlich waren das Aderlässe, die man damals ja noch regelmäßig aus anderen Beweggründen durchführt. Die „Injektionen“ erfolgten bei offener Ader. Durch zahlreiche Infektionen an der Stichstelle war diese Therapieform deshalb auch rasch aufgegeben worden, denn Desinfektion der Haut ist damals noch unbekannt, weil man nichts von Bakterien ahnt. Ein Jahrhundert später hat man durch Linsers Studie europaweit mit Quecksilberchlorid bessere Erfolge, schon weil die Hygiene große Fortschritte gemacht hat. Große, hässliche Krampfadern werden verödet, wie man sie heute in ihrer Ausprägung nur selten sieht. Rein kosmetische Eingriffe sind in dieser Zeit noch unbekannt. Man spritzt Krampfadern nach Embolien, um weitere Ereignisse zu verhindern. Oder bei blutenden Krampfadern, die immer wieder aufbrechen. In Deutschland, Österreich und in Skandinavien gibt es bald im Bereich der Dermatologie Nachahmer, die Linsers Erfolge bestätigen. Allerdings ist auch diese Therapie noch sehr mit Nebenwirkungen behaftet. Schädigungen der Nieren und des Darms treten bei jedem hundertsten Menschen auf, da Quecksilber vom Körper nur sehr schlecht vertragen wird.
    Quecksilber als homöopathische Arznei kann für die Seele Heilwirkungen zur Folge haben, indem sie den Menschen ausgeglichener macht. Quecksilber galt Paracelsus als so wertvoll, dass er es selbst regelmäßig einnahm und für seine Zeit dabei doch recht alt wurde. Trotzdem hat sich heute die Meinung durchgesetzt, dass dieses Edelmetall in der Medizin eher Schaden als Nutzen hervorrufen kann, weshalb auch eine psychologische Venentherapie darauf eher verzichten wird.
     
    Der Begründer der Kochsalztherapie war eigentlich ein Assistent, der für Professor Linser arbeitete und ebenfalls Linser hieß und später selbst Professor wurde. Karl Gottlieb Linser (1895 – 1976), der nachmalige ärztliche Direktor der Hautklinik der Charité in Berlin – der übrigens keine verwandtschaftliche Beziehung zu Paul Linser hat – verfällt zwischen 1922 und 1924 während seiner Zeit in Tübingen auf die Idee, statt Quecksilber eine hochprozentige Kochsalzlösung zu verwenden. Es ist ein Geschäftsmodell, das sich aus den Einschränkungen der Zeit ergibt. Kochsalz ist immer noch relativ billig. Nachdem die Deutschen 1923 ihr gesamtes Geld in der Inflation verloren haben, fehlt es allerorten an teuren Arzneien, zu denen auch Quecksilber gehört. Der Blick fällt auf das Kochsalz, weil es zu den wenigen Grundmaterialien gehört, die überhaupt noch auf dem Markt zu bekommen sind. Man macht hier aus einer Not eine Tugend. Die Ergebnisse der ersten
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