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Propaganda

Propaganda

Titel: Propaganda
Autoren: Edward Bernays
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kann jeder Bürger wählen, wen er will. Aber politische Parteien als Teil des Regierungssystems sind in der amerikanischen Verfassung gar nicht vorgesehen, und die Verfassungsväter hatten sicherlich eine andere Vorstellung von der politischen Maschinerie in unserem Land als das, was wir heute vorfinden. Als die amerikanischen Wähler feststellten – und das dauerte nicht lange –, dass die Verteilung all der individuellen Wählerstimmen auf Dutzende oder gar Hunderte von Kandidaten zu chaotischen Zuständen führt, entstanden sozusagen über Nacht unsichtbare Regierungsinstanzen in Form rudimentärer Parteien. Seither ist man sich einig bezüglich des Nutzens von Parteiapparaten: Sie tragen zur Vereinfachung und Praktikabilität des demokratischen Verfahrens bei, indem sie die Anzahl der zur Wahl stehenden Kandidaten auf zwei oder höchstens drei oder vier reduzieren.
    Theoretisch bildet sich jeder freie Bürger seine eigene Meinung zu Fragen des öffentlichen Lebens wie zu seinem eigenen Verhalten. In der Praxis ist es jedoch kaum möglich, sich mit jedem komplexen ökonomischen, politischen und ethischen Zusammenhang auseinanderzusetzen oder gar eine eigene Position dazu zu beziehen. Vermutlich käme man nicht in einem einzigen Fall zu einem befriedigenden Ergebnis. Weil dem so ist, haben wir uns freiwillig darauf geeinigt, dass unsichtbare Gremien sämtliche Daten filtern, uns nur noch die wesentlichen Themen präsentieren und damit die Wahlmöglichkeiten auf ein verdauliches Maß reduzieren.
    Von den Meinungsführern und den Medien, über die sie sich an die Öffentlichkeit wenden, übernehmen wir die Beweisführung und die diversen Positionen zu den Themen, die gerade diskutiert werden; und vom ethischen Führungspersonal, seien es Priester, berühmte Schriftsteller oder einfach prominente Vertreter der vorherrschenden Meinung, übernehmen wir die Normen für unser Verhalten in der Gesellschaft – an die wir uns in der Regel gebunden fühlen.
    Theoretisch entscheidet sich beim Kauf jeder für die beste und billigste Ware, die ihm angeboten wird. In der Praxis jedoch käme unser Wirtschaftsleben vollständig zum Erliegen, wenn wir alle Preise vergleichen würden und die Unmengen von Seifen, Textilien oder Brotsorten auch noch chemisch untersuchen wollten, bevor wir sie kaufen. Um ein derartiges Chaos zu vermeiden, besteht eine stille gesellschaftliche Übereinkunft darüber, dass unser Blick durch den Einsatz von Propaganda lediglich auf eine reduzierte Auswahl an Gedanken und Gegenständen fällt. Die Bemühungen, unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte politische Standpunkte, Produkte oder Denkweisen zu lenken, sind dementsprechend umfangreich.
    Vielleicht wäre es besser, wenn wir nicht auf Propaganda und professionelle Interessenvertretung setzten, sondern auf Komitees weiser Persönlichkeiten, die unsere Regierung aussuchen, unser Verhalten im privaten wie im öffentlichen Leben vorschreiben und für uns entscheiden würden, welche Kleidung und welche Ernährung für uns am besten ist. Aber wir haben das entgegengesetzte Modell gewählt, den freien Wettbewerb. Nun müssen wir einen Weg finden, wie dieser freie Wettbewerb möglichst reibungslos funktioniert, und deshalb hat sich die Gesellschaft einverstanden erklärt, über Propaganda und Meinungsmanagement gesteuert zu werden. Es gibt einige Kritik an diesem Verfahren. Es heißt, Nachrichten würden manipuliert, einzelne Persönlichkeiten erhielten zu viel Bedeutung, und politische Ideen, kommerzielle Erzeugnisse und soziale Vorstellungen würden mit viel zu großem Aufwand im Bewusstsein der Massen verankert. Und schließlich gibt es die Befürchtung, dass die Instrumente, mit denen die öffentliche Meinung erzeugt und gelenkt wird, missbraucht werden könnten.
    Dem steht jedoch gegenüber, dass die Organisation und Fokussierung der öffentlichen Meinung für ein geregeltes Zusammenleben unerlässlich ist. Je komplexer unsere Zivilisation wird und je deutlicher sich zeigt, wie nötig die im Hintergrund arbeitenden Führungsinstanzen sind, desto konsequenter werden die technischen Mittel zur Steuerung der öffentlichen Meinung entwickelt und eingesetzt. Mithilfe von Druckerpresse, Zeitung, Eisenbahn, Telefon, Telegraf, Radio und Flugzeug können Gedanken rasch, ja sogar zeitgleich im ganzen Land verbreitet werden.
    Der Schriftsteller H. G. Wells hat das enorme Potenzial dieser Erfindungen in der New York Times beschrieben:
     
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