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Prokopus

Prokopus

Titel: Prokopus
Autoren: Adalbert Stifter
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fing sich nun an seinen Zügen, daß sie beleuchtet zu ihrer Dunkelheit hinaufsahen.
    »Lasse mir die Hand«, sagte er - »liebe Gertraud, lasse mir die teure, sanfte Hand.«
    »Ich lasse sie dir ja, Prokopus«, antwortetesie, indem sie ein wenig weiter vorrückte und die Hand ihm reichte. »Siehst du«, fuhr er fort, »wir werden jetzt ein schönes Leben beginnen - ich werde dich hierhin und dorthin führen, ich werde dir erzählen, du wirst zuhören - ich werde dir alle Dinge zeigen, welche dieser Berg enthält, ich werde dich in seine Vergangenheit einweihen, ich werde dir auch von andern Dingen sagen, die wunderbar sind auf der Erde, und diese Sterne, die alle Nächte langsam über unsern Berg hinüberwandeln, werden die Zeugen unseres Glückes sein.«
    »Sieh die Schnuppe«, rief Gertraud plötzlich.
    Ein glänzender Streifen war über den weiten Himmel, den man von der Samthalle aus überblicken konnte, hin gefahren und war unten im Dunste, wo Himmel und Land nicht mehr unterscheidbar waren, erloschen. »Sie soll nicht unser Unglück bedeuten«, sagte er, »sondern nur den schnellen Flug, in welchem die Zeit in unserem Glücke dahingehen wird. Dann werden wir alt sein, Gertraud, aber wir werden in heißer Liebe Herz an Herz drücken - und wenn das eine gestorben ist, so wird das andere weinen, als müsse es mit seinen Tränen sich zu Grabe bringen.«
    »O wie bist du schön, Prokopus!« sagte Gertraud.
    »Und wie bist du gut«, erwiderte er - »und wie ist es glücklich, daß es so gekommen ist, daß wir uns besitzen, und welche unabsehbaren Tage des Glückes werden kommen!«
    Sie antwortete nicht, aber sie folgte dem leisen Zuge seiner Hand, die sie gegen sich zog, gleitete gegen ihn, da er sie umfaßte, schlang beide Arme um seinen Nacken, da er sie an sich drückte, und empfing den Kuß von den Lippen ihres Gatten.
    Sie war auf dem Samtkissen des Schemmels, auf dem er saß, gekniet, da sie ihn umfangen und geküßt hatte. Als die Arme sich lösten, hob er sie sanft auf, lenkte sie auf ihren früheren Sitz und setzte sich neben sie.
    Sie sprachen nichts.
    Die Nacht war weiter vorgerückt - der Lichterschein, der unten an den Bäumen des Kastellanhäuschens gesehen worden war, war erloschen, auch derjenige, welcher von dem Speisesaale dämmerig herübergekommen war, war nicht mehr da, und keine einzige Stimme war auf dem ganzen Berge zu hören.
    Die Gatten hoben sich und gingen wie zwei selig schüchtern Liebende in den Saal hinein.
    Die dunkle Tür schloß sich hinter ihnen, und dieselben Sterne, welche über den Bergen der ganzen Fichtau schienen, welche auf das kleine graue Haus und darin auf das schlummernde alternde Ehepaar, auf die unschuldige Lenore, auf den Jüngling Damian und auf die andern niederleuchteten, standen nun auch in der kühlen brennenden Glocke über dem Berge des Rothensteines.
    Er war fast ganz schwarz und kein einziges Licht auf ihm zu erblicken; denn die wenigen, welche innerhalb der Mauern noch brannten, waren durch feste eichene Fensterbohlen von der äußern Ruhe, Heiligkeit und Stille der Nacht abgeschlossen.
     

2. Der Mittag
     
    Das versprochene Glück ist nicht gekommen. Nachdem die Hochzeitsgäste noch mehrere Tage mit Freuden und Vergnügungen auf dem Rothensteine zugebracht, nachdem sie alles und jedes auf dem Berge besichtigt, in den Teichen und Flüssen der Ebene gefischt, in den Wäldern der Fichtau gejagt und hinter dem Eichenhaine auf die Scheiben geschossen hatten: gingen sie einer nach dem andern fort. Die letzten waren die Eltern Gertrauds und der fröhliche Schwager Rudolph. Die Pferde, welche man von dem Rothensteine zur Beförderung mitgegeben hatte, kamen nach und nach abgemüdet wieder zurück, und jetzt begann alles in dem Gleise zu gehen, in welchem es alle die künftigen Tage gehen würde.
    Aber es war eigentlich noch kein Gleis. Prokopus war erst wenige Wochen vor seiner Vermählung mündig gesprochen worden. Vorher war das Leben auf dem Rothensteine sehr einfach gewesen. Vater und Mutter Prokops waren sehr früh gestorben, da er noch beinahe ein Kind war. Sie hatten, da er ihr einziger Nachkomme war, alles auf seine Erziehung verwenden wollen, was ihnen ihr großer Reichtum nur immer eingab und was die besonders guten Anlagen des Knaben, die sie zu sehen glaubten, erheischten. Es waren Lehrer nach Lehrern auf das Schloß gekommen und immer wieder mit andern vertauscht worden. Kurz vor dem Tode der Eltern war einmal der Ritter Bernhard von Kluen eine
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