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Professor Mittelzwercks Geschöpfe

Professor Mittelzwercks Geschöpfe

Titel: Professor Mittelzwercks Geschöpfe
Autoren: Johanna und Günter Braun
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etwa an die jeweilig betriebene Politik des Staates. Dann würde aber die Anpassung ein anderer vornehmen, man müßte sich vielleicht auf einem Anpassungsstuhl niederlassen oder in eine Anpassungszelle treten, wo dann die Anpassung erfolgt. Danach erhielte man eine Quittung über erfolgte Anpassung oder einen Stempel in den Anpassungsausweis. Als Schriftsteller legt man den Ausweis gleichzeitig mit einem neuen Manuskript seinem Verlag vor. Dort könnten dann Anpa s sungsspezialisten überprüfen, wie weit die Anpassung sich literarisch au s gewirkt hat.
    sie mögen ein solches System anscheinend nicht, obwohl es vielen schwächeren Kollegen Arbeit und Einkommen verschaffen könnte. Sie fi n den es zu umständlich, vor allem scheint Ihnen aber zu mißfallen, daß man zum Anpassungsstützpunkt zwar hingeht oder hinfährt, sich selbst hi n bringt, dort aber die Anpassung duldend über sich ergehen läßt. sich in übereinstimmung bringen fordert vom Schriftsteller eigene Aktivität. Die Kongruenzsätze aus der Mathematik vor Augen, muß er sich so weit bri n gen, daß seine Werke sich mit den Absichten der Politik des Staates d e cken. Sie streiten gar nicht ab, daß diese Aufgabe nicht einfach ist. Und ich befürchte, Sie halten sie für humanistisch, für menschlich edel, und zwar zutiefst. ingenieure der menschlichen seele, ein veraltetes Werk, grausam mechanisch und für heutige Bedürfnisse unbrauchbar. Die Entwicklung ist weitergegangen, an die Stelle des Ingenieurs hat sich die Psychiatrie g e setzt, die Gen-Chirurgie, die bewußtseinsverändernde Droge, durch sie kann auch der vormalige ingenieur der menschlichen seele behandelt und, falls erforderlich, in Übereinstimmung gebracht werden.
    Bei Orwell wird noch die Technik bemüht, um im Zimmer 101 des Mini s teriums für Liebe den armen Winston Smith so weit zu bringen, daß er behauptet zu sehen, was er nicht sieht, eine Foltermaschine, bedient von O ’ Brien, dem hier der Titel ingenieur der menschlichen seele zukäme. Ein Apparat des Grauens wird bemüht, um Winston zur totalen Aufgabe seiner Persönlichkeit zu bringen. sie lehnen solche Verfahren ab, ja, ich glaube, sie fürchten und hassen sie, niemals möchten Sie selbst so behandelt werden, noch wünschen Sie es Ihr en Kollegen, als In-Übereinstim mung-zu-Bringender Bearbeitungsgegenstand, also Opfer zu sein. Wenn ich Ihr Werk recht verstehe, können solche Praktiken gegenstandslos werden, wenn von nun an der Mensch ihnen zuvorkommt, indem er sich selbst immer wieder und natürlich auch rechtzeitig und richtig in Übereinstimmung bringt. Das ist nämlich der Kern Ihres Werkes: das autonome sich. Sich selber bringen bedeutet Loslösung vom unzuverlässigen störenden ich, das die Folterm e thoden O ’ Briens erst hervorruft. Dieses ich wird nun von sich selbst in Übereinstimmung gebracht, nicht »zur« Übereinstimmung, was einen Ort, einen Stützpunkt, eine Einrichtung bedeuten würde, wo die Übereinsti m mung vorgenommen wird. Das ich bringt sich selbst »in« Übereinsti m mung, und zwar freiwillig, ohne jene trivialen Zwangsmittel, die wah r scheinlich nach Ihrer Meinung nur der Science-fiction angehören.
    Ich kann mich von der Vorstellung nicht befreien, daß auch sich in übe r einstimmung bringen ein technischer Vorgang ist. Als kürzlich ein alter Ko l lege zu einer Reizstrombehandlung ging, überließ der Therapeut es ihm, die Stromstärke einzustellen, möglichst nicht unter 40, s agte er, und, wenn Sie es aushalt en, steigern.
    Wie hoch bringen es die Patienten im Durchschnitt, fragte mein Kollege. Manche haben es schon auf 80 gebracht, das ist selten, manche schaffen nur 30.
    Man könnte ja schummeln, sagte der alte Mann, und das Gerät erst zum Schluß, wenn Sie nachsehen, auf eine höhere Zahl stellen.
    Nun, sagte der Therapeut, ich merke es an der Haut, wie es gewirkt hat. Und warum lassen Sie es mich selbst machen, woanders ist das nicht so. Bei uns ist es so. Er hatte wahrscheinlich nicht Zeit, jeden einzelnen Patie n ten selbst mit Strom zu behandeln, der Andrang war zu groß, der Betrieb aber lief reibungslos.
    Im Zeitalter der Selbstbedienung könnte es auch zu einer Selbstfolter-Methode kommen, die Folterknechte überlassen die Geräte ihren Opfern, die sich selbst einspannen und den Grad ihrer Qualen bestimmen.
    Im Zimmer 101 würde O ’ Brien dann zusehen, wie Winston Smith sich selbst dazu bringt, etwas zu sehen, was er nicht sieht, und wie er sich in jenem tiefgelegenen
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