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Prinzessinnensöckchen (German Edition)

Prinzessinnensöckchen (German Edition)

Titel: Prinzessinnensöckchen (German Edition)
Autoren: Carolin Benedikt
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nicht. Als ihre Mutter von der Arbeit kam, aßen sie schweigend zusammen. »Dir muss man heute wieder die Würmer aus der Nase ziehen«, rügte die Mutter, fragte aber nicht wie sonst, ob Emily Liebeskummer habe. Soll sie's doch glauben, war ihr gerade recht, dann musste sie nichts sagen.
    Später im Bett passierte das, was sie befürchtet hatte: Sie lag wach und fand keinen Schlaf. Die Dunkelheit machte ihr Angst. Es war die Dunkelheit, aus der Hanna schreiend gerannt war, an ihr vorbei, immer tiefer in den Wald. Irgendwann musste sie eingeschlafen sein, denn der Wecker riss sie aus einem bösen Traum, an den sie sich nicht erinnerte, nur dass es ein böser Traum gewesen war. Sie zitterte. Ihre Stirn brannte wie Feuer, der Nachtschweiß floss wie Säure in die Wunde.
    »Was hast du denn da wieder angestellt?«, fragte die Mutter beim Frühstück. »Irgendwo dran vorbeigeschrammt«, log Emily. Sie würde den Striemen wieder abdecken, das war das geringste Übel. Wie sie die Schule überstehen sollte, wusste sie nicht.
    Aber sie überstand sie. Sport und Geschichte waren ausgefallen, um 11 schon Schluss, eigentlich hätte sie jubeln müssen. Zeit für Shoppen, wenigstens gucken. Sie musste aufpassen, was sie kaufte, ihre Mum war schon misstrauisch geworden, glaubte nicht mehr, dass die schicken Schuhe wirklich ein Sonderangebot für 9,95 gewesen waren und der teure Lippenstift ein Werbegeschenk der Parfümerieabteilung des Kaufhauses.
    Sie wartete auf den Bus, setzte sich ans Fenster, starrte hinaus. Sie musste Hanna anrufen, gleich wenn sie zu Hause war, nicht jetzt. Oder Hanna würde anrufen, das wäre noch besser. Hanna rief nicht an.
    Sie war verpeilt, total verpeilt, das sagte die Freundin immer, wenn Emily etwas Ungeschicktes tat, für einen Moment geträumt hatte und auf das »Hallo, pennst du wieder?« nicht reagierte. Sie stieg eine Haltestelle zu früh aus, die am Ortsrand, dort wo sie gestern aus dem Wald gekommen waren. Schnell heim.
    Jemand trat aus dem Wald und kam auf sie zu. Eine Frau, nicht alt, aber sie kam auf sie zu, als wolle sie das Mädchen etwas fragen. Lauf weg, Emily, lauf weg. Sofort begann sie zu schwitzen, sofort brannte die Wunde auf der Stirn wieder, die musste sie sowieso wieder abdecken. Lauf weg, Emily!
    Die Frau kam tatsächlich auf sie zu, sie lächelte. »Sorry, ich hab zwar hier mal gewohnt, aber diese Ecke kenn ich nicht. Kannst du mir sagen, wie ich am schnellsten zur Hauptstraße komme?« Die Stimme klang nett, sah auch okay aus, die Frau. Aber sie war aus dem Wald gekommen, genau von dort, von wo auch sie gestern... Emily starrte die Frau mit großen Augen an, drehte sich um und begann zu rennen.
    Was in der Hütte vorgefallen war, erfuhr Emily erst am Abend, als die Mutter von der Arbeit kam. Hanna hatte ihr Handy ausgeschaltet, etwas, das noch nie da gewesen war. »In der Hütte vom Onkel Heinz haben sie ne Leiche gefunden«, sagte die Mutter und schüttelte den Kopf. »Den Pohland, stell dir mal vor, den Pohland. Was hatte der dort zu suchen?«
    Weiß ich doch nicht, dachte Emily, wieso denn Pohland, der doch nicht, nie und nimmer. Komisch, dass sie das jetzt gar nicht schockierte. Ein Toter hatte in der Hütte gelegen, Pohland auch noch, den sie von klein auf kannte, nicht mochte, aber war ja egal. Besser als ein Vampir oder ein Gespenst oder sonst was, von dem sie in der Nacht geträumt hatte. »Aha«, machte sie nur und ging auf ihr Zimmer.
    Gegen acht klingelte das Handy. Endlich, Hanna. Sie klang wie immer, nur ernster, stockender, als hätte sie eine von diesen Beruhigungstabletten geschluckt. »Hab ich auch«, sagte Hanna. »Meiner Mum hab ich gesagt, ich brauch die wegen der Klassenarbeit morgen. Hast du's gehört?« »Ja«, sagte Emily. »Und du hast ihn gesehen? Pohland?« Schweigen am anderen Ende. Dann: »Ja. Er hat direkt vor dem Vorhang gelegen, auf dem Rücken und der Kopf auf dem Schemel, du weißt schon. Er hat mich angeguckt. Übrigens seh ich Scheiße aus, so geh ich diese Woche nicht mehr in die Schule. Und mein verficktes Knie ist ganz dick und kriegt ne scheiß Kruste.«
    Jetzt redete sie fast wieder wie früher, wie ein Maschinengewehr. Aber dann schwieg sie und so etwas wie ein Schluchzen kam durch die Leitung. Hanna heulte? Konnte es wirklich sein, dass Hanna heulte? »Heul doch nicht«, sagte Emily. Aber eigentlich fand sie es ganz gut, dass Hanna heulte.
    Ein lauter Ton, Hanna putzte sich die Nase. »Is schon okay, is grade so über mich gekommen.
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