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PR2606-Unter dem Stahlschirm

PR2606-Unter dem Stahlschirm

Titel: PR2606-Unter dem Stahlschirm
Autoren: Hubert Haensel
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hörte sie den Kamashiten hinter ihr fragen.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Lanz. »Warum sprichst du nicht mit deinem Erbgott darüber? Oder schmollt Aay schon wieder?«
    »Der Weg führt nach NIMMERDAR«, behauptete Pifa.
    Und dann? Werden wir nur den Leichnam finden, wie immer er beschaffen sein mag? Ein psimaterieller Korpus wie der von ARCHETIM in der Sonne? Oder steht ALLDAR wirklich im Begriff, zu neuem Leben zurückzufinden? Jenke erschrak über sich selbst. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie sich eines Tages mit solchen Überlegungen würde befassen müssen.
    Umkehren?
    Wenn es ihr möglich gewesen wäre, Shath zu verlassen, sie hätte es getan. Rhodan, Atlan, Bull, das hier war eine Sache für die Unsterblichen, ihre Erfahrung war gefragt.
    Aber es gab noch keine Möglichkeit, die Planetenbrücke wieder zu verlassen.
    Jenke Schousboe starrte auf das Tor und versuchte mehr zu erkennen – irgendetwas, das ihr verraten hätte, dass die Welt dahinter einigermaßen begreifbar blieb.
    Das Nichts wartete.
    Es war ihre Entscheidung. Entschlossen wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Wir gehen weiter!«
     
    *
     
    Nebel säumte den Weg.
    In dichten Schwaden wogte der Dunst. Zeitweise bauschte er sich sogar zu düsteren, unheilschweren Wolken, doch er hielt einen Hauch von Distanz, als staue er sich entlang unsichtbarer Kraftfelder.
    »Würden ringsum Blumen emporranken, hätte ich ein besseres Gefühl«, sagte Pia Aftanasia unvermittelt. »Nicht nur auf Terra gibt es bepflanzte Gräber.«
    »Es soll sogar Völker gegeben haben, die ihre Toten jedes Jahr für einen Tag nach Hause holten, um ihnen nahe zu sein«, wandte Dodd ein.
    »Hoffentlich waren das keine Terraner.« Lanczkowski klang überrascht und erschrocken zugleich.
    »Doch«, bestätigte Dodd. »Natürlich Terraner.«
    »Barbaren.« Pettazzoni seufzte. »Unser arkonidischer Mentor Atlan hat schon recht, wenn er das immer wieder behauptet.«
    Jenke Schousboe achtete kaum auf den kurzen Disput. Sie war stehen geblieben und tastete mit einer Hand durch den Nebel. Ein leichter, kaum wahrnehmbarer Widerstand war da, als hindere ein Prallfeld den Nebel, alles zu überfluten.
    Noch während sie mit den Fingerspitzen darüber strich, nahm sie Kälte wahr. Eis! Die Luft gefror unter ihren Händen, eine blanke, leicht raue Eisfläche entstand, in der sich die Irmdomerin spiegelte.
    Entsetzt wich Jenke zurück.
    Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie auf ihr leicht verzerrtes Konterfei. Ein zahnloser Mund grinste sie an. Ihr Gesicht war eingefallen; bleich stachen die Wangenknochen unter der spröden Haut hervor, deren Marmorierung sich zu blutunterlaufenen, fast schon schwarzen Flecken ausgeweitet hatte. Wirre graue Haarsträhnen hingen ihr in die Stirn.
    Jenke schüttelte den Kopf, hob abwehrend den Arm.
    Hinter ihr brach Alban Dodd in glucksendes Lachen aus. Sie wandte sich zu dem Kamashiten um und sah, dass er wie gebannt auf sein eigenes Spiegelbild schaute: ein Kind, halb nackt, mit schulterlangem giftgrünem Haar. Mit seinen kleinen Händen umklammerte der junge Dodd die Statue seines Erbgottes und wuchtete sie geradezu triumphierend in die Höhe.
    Jenke lief weiter. Sie fragte sich, ob sie daran Schuld trug, dass der Weg zum Spiegelkabinett geworden war. Von Dutzenden spiegelnden Flächen sprang ihr das eigene Abbild entgegen. Lachend winkte ihr Konterfei, obwohl sie selbst die Arme vor dem Leib verschränkte. Als sie gleich darauf schneller ausschritt, sank ihr Spiegelbild zu Boden und krümmte sich im Weinkrampf.
    Sie schloss die Augen. Nur für eine oder zwei Sekunden, doch als sie die Lider wieder aufschlug, sah sie sich einer wahren Riesengestalt gegenüber.
    Das Bild verwischte schnell.
    Im nächsten Moment gab es Jenke Schousboe gleich ein Dutzend Mal und mehr, und jede dieser Spiegelungen wandte ihr den Rücken zu.
    »He!«, rief sie.
    Die Bilder drehten sich um. Jenke starrte auf bleiche Knochen, doch sie verwandelten sich in lachende Gesichter.
    Sie fühlte sich ausgelacht, aber sie gewöhnte sich schnell an die Spiegelungen. Es war das Natürlichste überhaupt, sich selbst zu sehen – als Kind, als Greisin, als Tote. Von allen Seiten, gestikulierend, lachend, im Schlaf.
    Was war dieser vom Nebel umflossene Gang? Ein Panoptikum der Zeit, der Eitelkeit?
    Es schien der Expeditions-Kommandantin, als laufe ein Film ab, ohne Chronologie, aber doch unverkennbar eine Zusammenfassung ihres Lebens im
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