PR TB 212 Expedition Der Todgeweihten
der Einsicht, oder wie immer
auch der Hohe Taamar diesen Ort bezeichnet hat."
,,Ein Platz des Schreckens", sagte Kamee fröstelnd.
„Gehen wir weiter", schlug Cavus vor. Auch seine
Stimme hatte an Festigkeit verloren. Kamee sah, daß er die
Hand nicht vom Griff des langen Messers nahm. Vorsichtig setzten sie
sich in Bewegung, auf den Mittelpunkt des riesigen Gewölbes zu.
Der Treppenschacht lag am Rand der Domkuppel, die von ungeheurem
Ausmaß sein mußte. Shaktar legte die Hände vor den
Mund.
„Hallo?" rief er.
Der Klang verwehte in der Weite des Raumes. Die Felsenkuppel mußte
ungeheuer groß sein. Ein Wunder, daß dieses Gebilde nicht
längst zusammengestürzt war.
Von einem Echo war nichts zu hören. Wenn es nicht irgendeinen
Winkel gab, in dem der Schall förmlich absorbiert wurde, mußte
die Halle etliche Kilometer durchmessen - ein Gedanke, der Kamee mit
Schauder erfüllte.
Das einzige Geräusch, das die angespannte Stille durchbrach,
waren die dumpfen Laute der Schritte. Niemand sprach. Eine
unerklärliche Spannung hatte sich der Terraner bemächtigt.
Kamee stellte - ziemlich entgeistert im ersten Augenblick - fest, daß
sie überhaupt keine Angst mehr hatte. Verschwunden war die
Todesfurcht.
Dann tauchten die ersten Gestalten auf. Weiße Körper,
die aus dem Boden gewachsen zu sein schienen.
Kamee blieb stehen, neben den anderen.
,,Was ist das?" fragte Cavus flüsternd.
„Menschen", gab Shaktar leise zurück. ,,Es
siehtjedenfalls so aus. Wir müssen nähergehen, um etwas
erkennen zu können."
Kamee fühlte ihr Herz hart und schnell schlagen. Sie schlich
hinter den anderen her, die sich den Gestalten sehr vorsichtig
näherten,jederzeit auf eine tödliche Überraschung
gefaßt.
,,Es sind Menschen", sagte Shaktar. ,,Sie sind versteinert."
Kamee sah in das Gesicht einer Frau. Jede Pore war zu
erkennen,jede noch so kleine Falte. Die Frau hatte ein ausdrucksloses
Gesicht. Ihr Mund stand ein wenig offen, und unwillkürlich
beugte sich Kamee nieder.
Sie erschrak bis ins Mark.
Da war das Geräusch. Ein leiser, kaum vernehmbarer Ton, ein
wehes Singen, ein immer gleicher Ton der Qual. Ein paar Schritte
weiter stand ein anderer, ein Mann, auch er versteinert. Kamee rannte
hinüber, legte das Ohr an den weißen Mund. Auch hier der
gleiche Ton.
Es mußten Tausende sein, die hier standen und sich nicht
mehr regten. Stein gewordene Menschen. Ein Friedhof aus lebendem
Marmor.
Ein Tropfen fiel auf Kamee herab. Sie spürte, wie von der
Stelle eine eisige Kälte ihren ganzen Körper erfaßte
und auf der Haut förmlich brannte.
„Weiter", stieß Shaktar hervor. ,,Wir müssen
herausfinden, was hier geschehen ist."
,,Seht ihr?" fragte Cavus. ,,Seht ihr die Köpfe der
Leute. Seht genau hin. Seht ihr es!"
Jetzt erst fiel es Kamee auf.
Jeder dieser Köpfe trug eine Shakootee, auch sie war
versteinert.
,,Sind sie die Opfer der Todesblume?" fragte Kamee. ,,Oder
was soll dieser Friedhof bedeuten? Warum schickt man uns hierher?"
Sie kannte die Antwort. Sie wußte sie vom Augenblick an, da
sie den Raum betreten hatte. Jeder, der diesen Felsendom erreicht
hatte, war voller Hoffnung gewesen, ihn auch wieder verlassen zu
können. Diese Hoffnung war eitler Wahn.
Kamee wußte, was auf sie und ihre Freunde wartete. Der Tod.
10.
,,Ich möchte weg von hier“, sagte Dagal leise. Sie
sprach wenig. Es schien eine Eigenart der Terraner des Planeten zu
sein, sehr wortgeizig aufzutreten.
,,Das möchte jeder", sagte Kamee. ,,Aber wenn wir
unverrichteter Dinge wieder auftauchen, wird es unser Tod sein, und
der von Bully und euren Familien ebenfalls."
Also gingen sie weiter.
Eine Gestalt nach der anderen tauchte auf. Waren sie ursprünglich
nur vereinzelt zu sehen gewesen, wurden ihre Reihenjetzt immer
dichter.
Weiße Gestalten, porengenau aus Marmor nachgebildet, oder -
wie Kamee insgeheim befürchtete - vom kalkhaltigen Tropfwasser
langsam mit Kalk überzogen, festgehalten für die Ewigkeit.
Und je tiefer die Menschen in dies unterirdische Reich eindrangen, um
so lauter wurde der Klagegesang der Versteinerten, um so dichter
wurden ihre Reihen. Sie standen bald dicht an dicht. Es mußten
Tausende sein.
Kamee fühlte ihre Lippen zittern.
Der Anblick bereitete Schmerzen. Er schuf Qual. Irgendeine
verborgene Seite ihrer Seele wurde durch dieses Bild zur Resonanz
angeregt, schwang immer stärker mit.
Schuld war das Wort, das sich Kamee in immer stärkerem Maß
aufdrängte. Es kam ihr vor, als schreite sie durch
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