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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung
Autoren: Jenny Siler
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trug einen arabischen Namen. Sie war eine Frau, deren Land von naiven Außenseitern zusammengeschustert worden war, um ein optimistisches Ganzes zu bilden.
    »Nur das eine«, pflegte sie zu sagen, wenn es um ihre letzte Begegnung mit meinem Vater ging und das wenige, um das sie ihn damals gebeten hatte. Sie war stolz darauf, stolz, es allein geschafft zu haben. Im sechsten Monat schwanger und auf sich selbst gestellt, alle ihre Besitztümer in einer kleinen Tasche. Zwei Laibe Brot und Kleidung zum Wechseln.
    Und das eine? Jedenfalls kein Geld. Nein, meine Mutter hatte nur eine Unterschrift gewollt, die Anerkennung seiner Vaterschaft. Das einzig Wertvolle, das mein Vater mir in ihren Augen geben konnte.
    Keinen Namen, nicht einmal Legitimität, aber ein Leben, das sie sich für ihr Kind gewünscht hatte, eine gewisse Freiheit und Stärke. Die Amphibienfahrzeuge der sechsten Flotte drängten sich im Hafen von Beirut. Eine Erinnerung aus ihrer Teenagerzeit an junge Marines mit GI-Haarschnitt und breitem Lächeln. Rock’n’Roll und Jackie Onassis. Orte, die meine Mutter und ihre Schwester vier Jahre zuvor auf einer Reise nach New York City besucht hatten. Jazzclubs in Greenwich Village. Horden von Gästen in dicken Mänteln bei Schrafft’s. Das Rush-Hour-Gedränge in der U-Bahn. Frauen in Strümpfen und hochhackigen Schuhen. Frauen, die arbeiten gingen.
    All das hatte sie in dem schräg hingekritzelten Namen meines Vaters gesehen. Amerika und was es bedeutete, Amerikaner zu sein. Vier Monate später hatte meine Mutter, noch halb im Dämmerschlaf, in einem Pariser Entbindungsheim darum gekämpft, dass genau dies auf meiner Geburtsurkunde stand. Staatsangehörigkeit des Vaters: Amerikaner.
    Es war keine Entscheidung, sondern ein Vermächtnis, eine Wahrheit, der ich niemals ganz entkommen kann. Mein Name in einem blauen Pass, der in einer Schublade liegt, ein echter Pass diesmal, dessen Umschlag das unauslöschliche Siegel der Vereinigten Staaten von Amerika trägt.
    Als Valsamis sich an der Tür noch einmal zu mir umdrehte, glaubte ich zuerst an einen Witz und begriff erst dann, dass er es ernst meinte.
    »Und welches Land soll das sein?«
     
    Ich wartete, bis Valsamis definitiv verschwunden war, und brachte einen schmollenden Lucifer zu meiner Nachbarin ins vorübergehende Exil. Dann ging ich nach Hause packen. Im Schrank fand ich eine kleine Reisetasche, warf ein paar Sachen zum Wechseln hinein, saubere Unterwäsche und so weiter, Zahnbürste und Seife. Ich reise mit leichtem Gepäck, das war schon immer so. Und ich reise optimistisch. Warum auch nicht? Höchstens eine Woche, nahm ich mir vor. Höchstens eine Woche, dann bin ich wieder bei Lucifer und meinen Hühnern.
    Als ich fertig war, ging ich ins Büro und schickte eine kurze E-Mail an Solomon, damit sie Bescheid wussten. Unten in der Küche fiel mein Blick auf den kalten Kaffee und das Croissant. Ich räumte den Platz auf, an dem Valsamis gesessen hatte, spülte das Geschirr und nahm den Müllbeutel aus dem Eimer.
    Die Fotos von Rahim und der Botschaft lagen noch auf der Arbeitsplatte. Ich wollte sie wegwerfen, zögerte aber und blätterte sie wie unter Zwang ein letztes Mal durch. Es war eine Geschichte der Gewalt, eine Warnung, wozu der Terror fähig war. An einem Ende Rahim. Am anderen Ende das Kind, das kleine Mädchen. Und beide Gesichter drückten dieselbe Hoffnungslosigkeit aus, beide nach innen gekehrt, in sich und ihre Seele.
    Auf einem anderen Foto entdeckte ich etwas, das mir bisher entgangen war. Am Rand eines Trümmerhaufens, halb begraben unter einem verbogenen Fahrrad, lag ein Hund, ein geliebtes Haustier. Nicht ganz, es war nur ein Teil von einem Hund. Pfote, Bein, Schulter und ein halbes Gesicht, der Rest des Geschöpfes war säuberlich abgetrennt.
    »Les brutes«, hörte ich meine Tante Emilie sagen, nachdem wir meine Mutter begraben hatten. Schon damals hatte ich gedacht, dass kein Tier so etwas tun würde.
    Eine Woche, sagte ich mir noch einmal, warf die Fotos in den Müll, öffnete die Hintertür und stellte den Beutel nach draußen. Ich würde Rahim finden und wieder nach Hause kommen. Ich würde zurück sein, bevor die Krokusse blühten.
     
    Valsamis machte einen Bogen um Perpignan und zwang den Twingo auf die Rennstrecke namens A9, trat das Gaspedal durch, wollte eine Kraft aus dem Wagen herausholen, die er einfach nicht besaß. Im Rückspiegel sah er die Scheinwerfer kommen, ein kurzes warnendes Blinken, bevor ihn ein Wagen nach dem
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