Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polivka hat einen Traum (German Edition)

Polivka hat einen Traum (German Edition)

Titel: Polivka hat einen Traum (German Edition)
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
stehen da und grinsen ihre Schuhe an, als hätten die gerade einen Witz erzählt.
    «Wie auch immer, lassen S’ uns zur Sache kommen. Was ist heute früh geschehen?»
    «Jemand hat die Notbremse betätigt. Kurz vor fünf hat mich der Zugführer angefunkt, dass der Regio aus Tulln zwischen dem Bahnhof Spittelau und hier auf offener Strecke zum Stillstand gekommen ist und dass es – offenbar aufgrund des Notstopps – einen Toten gibt.»
    «Ja, das war ich», wirft der kleinere der beiden hinter Parnow stehenden Eisenbahner ein. «Ich meine, der Zugführer … Winter mein Name.»
    «Woher wussten Sie von dem Toten, Herr Winter?»
    «Nach der Notbremsung hat unser Zugbegleiter nachgeschaut, was los ist. Er hat mich dann gleich informiert, dass einer im hinteren Wagen zu Tode gestürzt ist. Worauf ich – natürlich im Einvernehmen mit der Fahrdienstleitung – zum Franz-Josefs-Bahnhof weitergefahren bin. Es waren ja nur noch ein paar hundert Meter.»
    «Irgendetwas Ungewöhnliches vor Ihnen auf der Strecke?»
    «Nichts Besonderes. Alles ganz normal.»
    Polivka runzelt die Stirn und wendet sich dem letzten der drei Bahnbeamten zu, einem hageren Mann mit glattem, haarlosem Schädel. «Sie sind dann also der Schaffner, der Herr … Mikulitsch?»
    «Wie kommen Sie auf Mikulitsch?», raunt Hammel Polivka ins Ohr.
    «Wie kommen Sie auf Mikulitsch, Herr Kommissar?», fragt auch der Glatzkopf.
    «Eine … Dings, eine Verwechslung. Ich kannte einmal einen … Na, egal. Wie heißen Sie?»
    «Benkö. Hans Benkö.»
    «Auch gut. Notieren Sie das, Hammel. Also, was ist Ihnen aufgefallen, Herr Benkö?»
    «Zuerst einmal, dass wir heut pünktlich waren. Um siebzehn nach vier sind wir aus Tulln abgefahren; um vier Uhr sechsundfünfzig waren wir in der Spittelau.»
    «Waren viele Fahrgäste?»
    «Hat sich in Grenzen gehalten. Gestern Fronleichnam, morgen Samstag, da muss ja fast niemand zur Arbeit. Nur die Eisenbahner.»
    «Und die Polizisten», wirft Polivka ein. «Also weiter.»
    «Wir sind gerade aus der Spittelau heraus und nehmen Fahrt auf, da gibt’s einen Ruck, dass mir mein Dienstkaffee überschwappt, direkt auf meine Montur. Schauen Sie, da …» Benkö deutet auf einen der Flecken, die seine Uniformhose zieren. «Ich also grantig nach vorne ins Führerhaus, aber der Zugführer Winter sagt, er war’s nicht, er hat nicht gebremst. Also geh ich nach hinten, den Schuldigen finden. Im ersten Wagen drei verschreckte Leute, brav auf ihren Sitzen, keiner weiß von irgendwas.»
    «Wo sind die jetzt?»
    «Im Warteraum», antwortet einer der Polizisten. «Der Kollege Zach passt auf sie auf.»
    «Um die werden wir uns später kümmern. Also war im ersten Wagen alles ganz normal. Und dann?»
    «Im zweiten liegt der Woditschka am Boden …»
    «Woditschka?», ruft Polivka verwundert aus. «Heißt das, Sie kennen den Toten?»
    «Sicher. Karl Woditschka aus Kritzendorf. Der Woditschka fährt jeden Morgen nach Wien. Er hat im zwanzigsten Bezirk ein kleines G’schäft, so was wie Wolle, glaub ich, oder Knöpfe …»
    «Werden wir schon herausbekommen. Woran haben Sie denn so rasch gesehen, dass er tot ist? Und warum aufgrund des Notstopps?»
    «Schauen Sie selbst, Herr Kommissar. Ein Simulant scheint mir die Leiche nicht zu sein.» Hans Benkö deutet auf die Wagentür.
    «Moment noch. War der Woditschka allein im hinteren Waggon?»
    Der Schaffner zögert. «Wie ich ihn gefunden habe, schon.»
    «Was heißt: da schon ! Und vorher? Oder wissen Sie das nicht, weil Sie die ganze Zeit mit Ihrem heiligen Dienstkaffee herumgesessen sind?»
    «Was soll ich machen, wenn ich schon in Wördern mit meinem ersten Kontrollgang fertig war?»
    «Verstehe. Und ein zweiter hätte sich natürlich nicht mehr ausgezahlt bei circa zehn verbleibenden Stationen. Aber gut, wir sind ja nicht die Dienstaufsicht. Die Frage ist: Wer hat die Notbremse gezogen?»
    «Wieso nicht der Woditschka selber?», meldet sich Hammel zu Wort. «Vielleicht war ihm nicht gut, er wollte raus, und dann …»
    «Das glaub ich nicht», wehrt Benkö ab.
    «Warum denn nicht?»
    «Weil die Waggontür offen war», sagt der Schaffner mit selbstzufriedenem Grinsen.
    Vom Zugang zum Bahnsteig her ist jetzt ein dumpfes Poltern zu hören. Zwei mausgrau gekleidete Männer mühen sich mit einem Blechsarg ab, der sich in einer der Schwingtüren verkeilt hat. Sie fluchen.
    «Also gehen Sie davon aus», meint Polivka zu Benkö, «dass noch jemand anderer im Waggon war. Jemand, der die Notbremse
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher