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Planeten 05 - Saturn

Titel: Planeten 05 - Saturn
Autoren: Ben Bova
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man wegen Bandenkriminalität, Terrorismus, Banküberfällen und Mord schuldig gesprochen hatte. Obwohl kaum des Lesens und Schreibens kundig, war der Kalabrier der geborene Organisator: Er führte seinen Gefängnistrakt wie ein mittelalterliches Lehen, schlichtete Streit und setzte eine brachiale Art von Gerechtigkeit durch ‒ und das so effizient, dass die Wachen ihm gestatteten, den Frieden unter den Häftlingen auf seine Art und Weise zu bewahren. Irgendwann erkannte der Capo, dass er jemanden brauchte, der einen Computer bedienen konnte, um den Kontakt zu seiner Familie in ihrem Bergdorf und zu den versprengten Mitgliedern seiner Bande aufrechtzuerhalten, die sich noch immer in den Hügeln versteckten. Also wurde Eberly sein Sekretär, und ab diesem Zeitpunkt durfte ihn niemand mehr behelligen.
    Es war die geisttötende Routine jedes langen, öden Tags, die Eberly seelisch krank machte. Seit er unter dem Schutz des Kalabriers stand, hatte er in körperlicher Hinsicht keine Probleme mehr, doch die triste Monotonie der Zelle, des Essens, der Gestank, die stupiden Unterhaltungen der anderen Gefangenen ‒ Tag für Tag, Woche für Woche ‒ drohten ihn um den Verstand zu bringen. Er versuchte sich durch tägliche Besuche in der Gefängnisbücherei geistig zu beschäftigen.
    Dort durfte er den streng überwachten Computer benutzen, um wenigstens eine virtuelle Verbindung zur Außenwelt herzustellen. Die meisten Unterhaltungs-Websites wurden entweder zensiert oder waren gar nicht erst zugänglich, doch die Gefängnisleitung gestattete ‒ ermutigte sogar ‒ den Besuch von Bildungs-Websites. In seiner Verzweiflung meldete Eberly sich für einen Kurs nach dem andern an, schloss ihn in der Regel viel schneller ab als vorgesehen und eilte dann zum nächsten.
    Anfangs belegte er alle Kurse, die gerade angeboten wurden: Renaissance-Malerei, Transaktions-Psychologie, Kläranlagen-Technik, Goethes Dichtkunst. Er spielte dabei überhaupt keine Rolle, um welches Thema es sich handelte; Hauptsache, er war beschäftigt und vermochte für ein paar Stunden am Tag dem Gefängnis zu entfliehen, auch wenn es nur über den Computer geschah.
    Allmählich entwickelte er jedoch eine Vorliebe fürs Studium der Geschichte und Politik. Schließlich bewarb er sich um einen Studienplatz an der Fern-Universität von Edinburgh.
    Zu seiner großen Überraschung holte an einem Morgen wie jedem anderen der Gefängnisdirektor ihn aus der Reihe, als er und seine Zellengenossen zum Speisesaal schlurften, um ihr lauwarmes Frühstück einzunehmen.
    Der bartstoppelige und humorlose Rittmeister tippte Eberly mit dem Knüppel auf die Schulter und sagte: »Mir folgen.«
    »Wieso ich? Was ist denn los?«, platzte Eberly ebenso erstaunt wie erschrocken heraus.
    Der Rittmeister hielt Eberly den Gummiknüppel unter die Nase und befingerte den Spannungsregler. »In der Reihe wird nicht gesprochen! Und nun folgen Sie mir.«
    Die anderen Sträflinge marschierten schweigend weiter. Die Köpfe hatten sie nach vorn gerichtet, doch ihre Blicke wanderten heimlich zu Eberly und zum Rittmeister. Dann schauten sie wieder nach vorn. Eberly wusste, wie der Knüppel sich mit einer vollen Ladung anfühlte. Also senkte er den Kopf und folgte dem Rittmeister fügsam aus dem Speisesaal.
    Der Rittmeister führte ihn in einen kleinen, mit Möbeln voll gestellten Raum im Verwaltungstrakt, wo der Gefängnisdirektor und andere Vollzugsbeamte ihre Büros hatten. Der Raum hatte nur ein Fenster, das noch dazu fest geschlossen und so schmutzig war, dass das Licht der Morgensonne es kaum zu durchdringen vermochte. Ein rechteckiger Tisch füllte fast den ganzen Raum aus; die Tischplatte war verschrammt und matt. Zwei Männer in teuer wirkenden Geschäftsanzügen saßen am Tisch, wobei die Stühle fast an den kahlen grauen Wänden schrammten.
    »Hinsetzen«, sagte der Rittmeister und wies mit dem Knüppel auf den Stuhl am Fuß des Tisches. Eberly setzte sich vorsichtig hin, wobei er sich fragte, was das alles wohl zu bedeuten habe und ob er sein Frühstück verpassen würde. Der Rittmeister trat hinaus auf den Flur und schloss leise die Tür.
    »Sie sind Malone Eberly?«, fragte der Mann am Kopfende des Tisches. Er war rundlich und hatte ein teigiges Gesicht mit rosigen Wangen. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Eberly mutete er wie ein Schwein an.
    »Ja, der bin ich«, erwiderte Eberly. »Sir«, fügte er rasch hinzu.
    »Geboren als Max Erlenmeyer, wenn unsere Informationen richtig
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