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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns
Autoren: Uwe Klausner
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Lärm und betörender Duft, Feilschen, Gezeter und Geschrei. Keine Viertelstunde jedoch, und Bruder Hilpert begann des Treibens der Marktweiber, Backwarenverkäufer und Bauchhändler, der Lockrufe der Quacksalber, Scherenschleifer und Devotionalienhändler allmählich wieder überdrüssig zu werden.
    Der Blickkontakt zu dem Mann, der Bruder Hilpert beinahe über den Haufen gerannt hätte, war flüchtig. Außer den Froschaugen, die ihn geradezu unverwechselbar machten, war es die Tracht eines Jakobspilgers, welche ihn von den übrigen Passanten unterschied. Des Weiteren war nichts Auffälliges an ihm. Ein Marktbesucher unter vielen. Vielleicht eine Spur zu feist, aber nicht so, dass es Argwohn erregt hätte. Was den Unterschied ausmachte, waren diese Froschaugen, die in Bruder Hilpert eine spontane Antipathie wachriefen. Besser, sich nicht mit ihm anzulegen und derlei unliebsame Begegnungen wieder zu vergessen, dachte er bei sich und setzte seinen Weg fort. Auf eine Entschuldigung würde er ohnedies vergeblich warten.
    Denn genau das war es, was Bruder Hilpert möglichst schnell wollte: vergessen. Vergessen, was er alles durchgemacht hatte. Vergessen, dass im Menschen bisweilen ein Raubtier steckte. Und so war er heilfroh, als er dem Gewimmel entronnen, der Schustergasse gefolgt und in die Domstraße eingebogen war, von alters her Sitz der Goldschmiede, Geldwechsler und Waffenhändler der Stadt.
    Vor dem Rathaus, ›Grafeneckart‹ genannt, stand ein Falschmünzer am Pranger. Sehr zum Vergnügen der Gassenjungen, die ihn mit Abfällen, Dreck und verdorbenem Fisch bewarfen. Da er derlei Spektakel nicht schätzte, wandte sich Bruder Hilpert angewidert ab. Ein letzter Blick zum Kiliansdom, die Zwillingstürme hinauf und wieder hinunter zum Portal. Dann machte er auf dem Absatz kehrt, trat zur Seite, um einem mit Weinfässern beladenen Fuhrwerk Platz zu machen, und steuerte eiligen Schrittes auf die Mainbrücke zu. Die Stadtwache, mit einem Pulk Spielleute, Akrobaten und einem Bärentreiber in ein hitziges Wortgefecht vertieft, beachtete ihn kaum. Aber das war Hilpert gerade recht.
    Er wollte weg, lieber heute als morgen. Diese Stadt, in der es ihm ausnehmend gut gefiel, war mehrere Wochen lang seine Heimat gewesen. Seine wahre Heimat indes war eine andere. In diesem Punkt hatte sein Abt vollkommen recht.
    Höchste Zeit, der Welt den Rücken zu kehren, dachte Bruder Hilpert bei sich, während er nach dem Flussschiff Ausschau hielt, das ihn ans Ziel bringen sollte. Er konnte es kaum abwarten, wieder nach Hause zu kommen, und als er die ›Charon‹ erblickte, die unterhalb der Mainbrücke vor Anker lag, atmete er erleichtert auf.
    Nur noch ein paar Tage, dann war es geschafft.
    Falls nicht wieder etwas dazwischenkam.

     
    H

     
    »Schlag die Drecksviecher tot, du Memme, oder bist du etwa zu dämlich dazu?«
    Der Lockenkopf auf dem Achterdeck, knapp 22, schlaksig und krebsrot im Gesicht, war außer sich. Dank seiner Augenklappe sah er wie ein Strauchdieb aus, und sein Wams, das verdreckte Leinenhemd und die grimmige Miene trugen das Ihrige zu diesem Eindruck bei.
    Der knapp 16-jährige Knabe, Zielscheibe seines Jähzorns, senkte betreten den Kopf. Er hatte flachsblondes Haar, hellblaue, hervortretende Augen und eine schmächtige Statur. Und einen Heidenrespekt vor dem Mann. Fast so viel wie vor der Reuse, die immer noch unberührt auf dem Mainkai stand.
    »Los jetzt, sonst mach ich dir Beine!« Der Choleriker auf dem Achterdeck, allem Anschein nach der Kapitän, ballte die Rechte zur Faust. Er würde nicht lange fackeln. Das wusste der Junge genau. Aus diesem Grund, nicht zuletzt aber auch wegen der Gaffer, fasste er sich schließlich ein Herz, riss den Deckel von der Reuse und lugte über den Rand.
    Für die Fischweiber, Schiffsbesatzungen und Müßiggänger, welche die Szene amüsiert verfolgten, war eine Reuse voller Aale natürlich nichts Besonderes, für den verschüchterten Jungen dagegen schon. Trotz aller Drohgebärden rührte er sich nicht von der Stelle. Seine Miene, wachsbleich und angeekelt, sprach Bände. Keine Macht der Welt hätte ihn dazu bringen können, mit der Hand in das glitschige, zuckende, zappelnde und sich wie in spastischen Krämpfen windende Gewürm zu greifen, zuzupacken und eine dieser Kreaturen herauszuholen. Dafür war sein Abscheu einfach zu groß. Da konnte der Dunkelhaarige mit der Augenbinde toben, wie er wollte. Noch so sehr fluchen oder drohen. Es ging einfach nicht. Selbst auf die
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