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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns
Autoren: Uwe Klausner
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verschwiegen. Was er mir indessen im Geiste brüderlicher Verbundenheit anzuvertrauen geruhte, ist, dass es Dir nach allerlei irdischer Mühsal und Plage gut zu Gesicht stünde, wenn Du Dich wieder mehr den Dir auferlegten Pflichten als den Fährnissen und Wechselfällen dieser unserer ach so beklagenswerten Existenz widmen würdest.
    Nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, kann ich dem nur beipflichten, und so erteile ich Dir den Auftrag, Dich spätestens am Tage des heiligen Bernhard im Kloster Himmerod in der Eifel einzufinden, auf dass Du Deine Zeit wieder mit dem Lob Gottes und der Heiligen Jungfrau, dem Studium der Heiligen Schrift und den Dir als Mönch vorgeschriebenen Gebeten verbringen mögest. Steht doch geschrieben: ›Suchet den Herrn, und ihr werdet leben.‹
    Darüber hinaus mögest Du Dich wieder den Pflichten eines Bibliothekarius widmen. Wie mir mein Amtsbruder zu Himmerod nämlich jüngst anzuvertrauen geruhte, befindet sich Bruder Gervasius, der dortige Bibliothekarius, nicht wohl, der Grund, weshalb sich Skriptorium und Bibliothek in einem beklagenswerten Zustand befinden und einer Neuordnung dringender denn je zu bedürfen scheinen. Eine Aufgabe, für die Du trefflicher als jeder andere geeignet bist, jedenfalls besser, als Dich mit den Schlingen und Tücken des irdischen Jammertals zu beschweren.
    Darum säume nicht, mein gehorsamer Sohn, die Dir aufgetragene Aufgabe in wahrhaft mönchischer Demut zu erfüllen. Der dies schreibt, sorgt sich um Dein Seelenheil, nicht zuletzt auch darum, dass der Ruf unseres Ordens durch allzu weltliches Gebaren seiner Angehörigen Schaden nehmen könnte.
    Postskriptum: Sobald Du in der Abtei Himmerod angekommen bist, lasse mich dies umgehend wissen!

     
    Gegeben zu Maulbronn, an des heiligen Jakobus Tag, dem 25. im Monat Julius Anno Domini 1416

     
    Albrecht von Ötisheim, Abt zu Maulbronn

     

     

     

     

     

DIES PRIMUS

     

     

     

     
    Freitag vor Mariä Himmelfahrt
    (14.8.1416)

     

VOR SEXTA
    Worin Hilpert von Maulbronn Abschied von WÜRZBURG nimmt und sich an Bord der ›CHARON‹ begibt.

     
    Es war ein Tag, wie es ihn nur in Franken gibt. Der Himmel über Würzburg war fast wolkenlos, die Luft angenehm mild und die Hitze der vergangenen Tage abgeflaut. Sogar die Gerüche, die aus den Quartieren der Fleischhauer, Gerber und Abdecker emporstiegen, hatten an Penetranz eingebüßt, wie auch die übel riechende Mixtur aus Tierkot, Abfällen und Pferdemist, die einem an heißen Tagen fast den Atem raubte.
    Es war Sommer, genau so, wie Bruder Hilpert ihn schätzte. Außer ein paar Federwolken, die sich an den azurblauen Himmel schmiegten, gab es nichts, das seinen Blick trübte. Der Zufall wollte es, dass das herrliche Spätsommerwetter mit seinem Seelenleben aufs Trefflichste harmonierte, weshalb er seit langer Zeit mit sich und der Welt im Reinen war.
    Am heutigen Tage, über dem bereits die Vorahnung des nahenden Herbstes hing, galt es, Abschied zu nehmen. Abschied von Würzburg, den Freunden und vom Kampf gegen das Böse, der seine Kräfte beinahe aufgezehrt hätte. Ein Kampf auf Biegen und Brechen, vor allem, was die Wiederbeschaffung der Reliquien des heiligen Kilian betraf. Während er vom Neumünster aus in Richtung Oberer Markt schlenderte, atmete der hagere, 36 Jahre alte Zisterziensermönch mit der ergrauten Tonsur befreit auf. Der Brief seines Abtes war genau richtig gekommen. Es war Zeit, höchste Zeit, sich wieder seinen mönchischen Pflichten zu widmen, fernab der Wirrnisse und Gefahren dieser Welt.
    Normalerweise hatte Bruder Hilpert für Straßenmärkte nicht viel übrig. Dennoch nahm er sich am heutigen Tage Zeit dafür. War er erst einmal in Himmerod, wäre es mit dem Trubel aus und vorbei. ›Ora et labora! [1] ‹ würde die Devise lauten und an Arbeit, so zumindest der Brief seines Abtes, höchstwahrscheinlich kein Mangel herrschen.
    Je weiter er sich vom Portal der Neumünsterbasilika entfernte, umso dichter das Gewühl, umso lauter die Rufe der Händler, schriller das Gefeilsche und dichter das Gedränge. Zwischen den Schragentischen, Buden und Ständen war kaum ein Durchkommen, und als er sich auf Höhe der Marienkapelle befand, von der bislang nur der Chor fertiggestellt war, musste er von seinen Ellbogen Gebrauch machen. Betörende Düfte, so der Geruch nach Zimt, Safran und Majoran, stiegen ihm in die Nase, darüber hinaus der nach Salbei, Thymian und Rosmarin. Ein Klostergarten war nichts dagegen. Alles war Licht,
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